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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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fremden Mann durch die Gasse folgte. Vor ihnen auf einem Berg, hoch über den Dächern und jetzt in schwefelgelbes Licht getaucht, thronte das alte Kloster Weingarten mit seiner Kirche. Über einen mächtigen steinernen Treppenaufgang gelangte man hinauf.
    Sie legte den Kopf in den Nacken: Der Anblick des riesigen Gotteshauses dort oben, das kaum von Menschenhand gemacht sein konnte, erschreckte Theres. Erst recht der Gedanke, dass dort herinnen eine solch unheimliche Kostbarkeit wie das Blut Jesu Christi aufbewahrt wurde.
    «Jetzt mach schon!» Der Amtsbote gab ihr einen Stoß. «Ich will endlich Feierabend haben.»
    Zögernd stieg sie die Stufen hinauf und fühlte sich winzig und wehrlos wie eine Laus.

2
    Ankunft im Waisenhaus Weingarten, Mai 1832
    Das hochaufgeschossene Mädchen mit den dicken, weißblonden Zöpfen verschränkte die Arme.
    «Du bist also die Theres. Wo kommst her?»
    «Von Eglingen.»
    «Nie gehört. Hör zu, Theres. Dass du’s gleich weißt: Ich bin hier die Stubenälteste und hab das Sagen im Schlafsaal. Verstanden?»
    «Ja.» Theres nickte müde. Sie hatte nur noch den einen Wunsch, sich endlich in eines der Betten verkriechen zu dürfen. Schon im Amtslokal des Hauptinstituts, wo sie bei ihrer Ankunft vom Ökonomieverwalter Wilhelm Ludwig Heintz empfangen worden war, hatte sie sich kaum noch auf den Beinen halten können vor Erschöpfung und Hunger. Hatte die knappen Fragen nach Name und Alter, Herkunft und Konfession beantwortet und dabei nur noch an einen Teller warmer Suppe denken können.
    Mit dem Satz «Alles Weitere morgen früh» hatte das untersetzte, ältliche Männlein mit Spitzbart und runder Brille auf der Hakennase das Gespräch schließlich beendet und nach der Hausmagd geläutet. Da hatte Theres ihren ganzen Mut zusammengenommen und ihn nach einem Abendessen gefragt.
    «Was erlaubst du dir?» Die schnarrende Stimme bekam einen ärgerlichen Klang. «Zu Abend gegessen wird schlag halb sechs, nicht früher, nicht später. Wir sind hier schließlich keine Speisewirtschaft. Und jetzt geh mit der Magd und wasch dich, du stinkst zum Davonlaufen!»
    Geduckt wie ein geprügelter Hund, war Theres der Frau durch eine Abfolge dunkler Gänge gefolgt, bis sie in einen Kellerraum gelangten. An der Wand standen große Öfen mit Wasserkesseln darauf, in einem glühte noch die Kohle.
    «Zieh dich aus und wasch dich», hatte die Magd sie angewiesen. «Bin gleich wieder da.»
    Das Wasser war noch lauwarm, und nachdem sich Theres im Halbdunkel einer Tranlampe sorgfältig gewaschen hatte, war die Magd auch schon wieder zurück. In der Linken hielt sie eingraues Nachthemd und Filzpantoffeln, in der Rechten einen Kanten Brot mit Käse.
    «Verrat mich nicht», hatte sie gesagt, während Theres das Hemd überstreifte und sich dabei gierig Brot und Käse in den Mund stopfte. Dann war sie zum Mädchenschlafsaal geführt worden, wo sie jetzt in der offenen Tür stand, umringt von einer Horde neugieriger Kinder.
    «Du schläfst am hinteren Fenster, bei der Sophie. Wenn was ist, läutest die Glocke hier bei der Tür. Und jetzt alle zurück ins Bett!», befahl die Hausmagd. «Du auch, Rosina! Und führ dich net immer so auf.»
    Mit einem dumpfen Schlag fiel die Tür hinter Theres ins Schloss, knarrend wurde ein Riegel vorgeschoben.
    Keines der Mädchen rührte sich.
    Als Theres in Richtung Fenster gehen wollte, stellte die Weißblonde, die Rosina hieß, ihr ein Bein, und sie stürzte der Länge nach zu Boden. Im nächsten Moment spürte sie einen Fuß auf ihrem Rücken.
    «Da ist noch was», hörte sie die Stubenälteste in affigstem Schriftdeutsch sagen. «Als Neue bedienst du mich, dass das klar ist. Und du sprichst mich mit Fräulein Rosina an.»
    Der Druck auf ihren Rücken verstärkte sich.
    «Ob das klar ist!»
    «Ja.»
    «Das heißt: Ja, Fräulein Rosina.»
    «Ja, Fräulein Rosina», presste Theres hervor.
    Die anderen kicherten, und Tränen der Wut schossen Theres in die Augen.
    «Morgen früh übernimmst dann meinen Kehrdienst, verstanden?»
    «Ja, Fräulein Rosina.»
    «Gut. Und jetzt küss mir die Füße, danach darfst ins Bett.»
    Der Druck auf Theres’ Rücken schwand. Dicht vor ihrer Nase erschienen zwei Füße, denen selbst im Halbdunkel anzusehen war, wie dreckig sie waren. Angewidert drückte sie einen flüchtigen Kuss auf jeden Fußrücken und rappelte sich auf.
    «Mein Gott, die Neue heult ja!», höhnte Rosina. «Was für ein Mammasuggele! Sophie, bring sie ins Bett, die Kleine muss Heia

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