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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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aus nur zu erahnen, und die Kuppel schwebte dermaßen hoch über ihnen, dass einem schwindlig wurde, blickte man hinauf. Zu winzigen Ameisen wurden die Menschen, und Theres fragte sich, wie es sein konnte, dass ein solcher Gottespalast dem gemeinen Volk offen stand, ja selbst solchen Kindern wie ihr, den Kindern von Bettlern und Landstreichern. Dabei war Altdorf nicht einmal eine Stadt, nur ein Marktflecken.
    «Wo ist das Blut?», flüsterte Theres Sophie ins Ohr, und ein Schauer durchrann ihren Körper.
    «Das Blut? Ach so – die Reliquie. Da vorn, im Heilig-Blut-Altar. Zur Prozession am Blutfreitag wird sie rausgeholt unddurch die Gassen und Felder getragen, damit jeder sie sehen kann. Jetzt komm schon.»
    Sophie zog sie zu einer der hintersten Bankreihen.
    «Müssen wir denn nicht stehen?», fragte Theres, nachdem sie sich bekreuzigt hatte.
    «Jetzt haltet endlich die Goschen, Vagantenpack!», fauchte ein Mädchen zwei Reihen vor ihnen, wie ihre Nebensitzerinnen im blauen Kleid der Waisenkinder. Sophie streckte ihm die Zunge heraus und schob Theres zu den anderen Vagantenkindern in die Bank.
    Als der Pfarrer mit kräftiger Stimme zur Predigt anhob, flüsterte Sophie: «Willst du meine Freundin sein?»
    «Gern!»
    Zum ersten Mal seit ihrem Abschied von daheim empfand Theres so etwas wie Freude. Sie hörte Sophie noch murmeln: «Ich hab nämlich bislang keine Freundin», dann fielen Theres vor Müdigkeit die Augen zu.
     
    Heil unserm König, Heil!
, schmetterte die Gemeinde aus voller Brust, und Theres schrak auf. Alle hatten sich erhoben, um mit dieser Huldigung an König Wilhelm, wie überall in den Kirchen des Landes, den Gottesdienst abzuschließen.
    Sei bester König hier,
    lang noch des Volkes Zier,
    der Menschheit Stolz   …
    Mit lauter Stimme sang Theres die letzten Verse mit, wobei ihr Blick über die Köpfe der Kirchgänger schweifte, auf der Suche nach Rosina. Doch deren weißblonder Haarschopf war zum Glück nirgends zu entdecken. Vielleicht lag sie ja krank im Bett.
    Entgegen ihrer Hoffnung erwartete die Stubenälteste sie in bester Verfassung am Treppenaufgang der Erziehungsanstalt.«Hast ja hoffentlich nicht vergessen, dass du meinen Kehrdienst machen sollst, oder?»
    «Nein», murmelte Theres und drückte sich an ihr vorbei die Stufen hinauf.
    «Dann aber schnell, sonst kriegst nix mehr ab vom Morgenessen. Die Besen findst in der Kammer neben dem Schlafraum.»
    Der langgestreckte Flur vor den Schlafsälen lag wie ausgestorben da, nachdem sie die Treppe bis zum dritten Stockwerk hinaufgehastet war. Sie hatte völlig vergessen zu fragen, wo sich der Esssaal befand. Dabei war ihr inzwischen fast schlecht vor Hunger und erst recht bei dem Gedanken, die nächsten Wochen und Monate dieser dummen Ziege zu gehorchen.
    Wütend zerrte sie Kehrblech, Handfeger und Besen aus der Abstellkammer und machte sich an die Arbeit. Der grobe Dielenboden sah nicht gerade aus, als sei er die letzten Tage sorgfältig gefegt worden, und binnen weniger Minuten war die Kehrschaufel voller Krümel und Staub. Ratlos blickte Theres sich um: Wohin jetzt mit dem Dreck?
    Vom Schlafsaal gegenüber hörte sie ein Geräusch. Sie trat in den Flur hinaus und erschrak bis ins Mark: Vor ihr, im Türrahmen des Knabenschlafsaals, stand eine Art Gespensterwesen! Eine winzige Gestalt, zierlicher und kleiner noch als sie selbst, mit riesengroßen Händen, Füßen und Kopf, von dem hellrotes Haar wie Flammen in alle Richtungen abstand.
    Erst ein einäugiger Riese, dann ein Zwerg! Die volle Kehrschaufel glitt ihr aus der Hand und fiel scheppernd zu Boden.
    Das Gesicht des Kleinwüchsigen verzog sich zu einem belustigten Grinsen. «Was gibt’s da zu glotzen? Hast noch nie einen Zwerg gesehen?»
    Sie schüttelte den Kopf.
    «Dann hab ich dich also erschreckt? Keine Angst, das gehtam Anfang jedem so. Am besten schaust mir ins Gesicht, das sieht noch am normalsten aus.»
    «Ich – ich hab keine Angst», stotterte Theres. «Ich wollt dich eigentlich fragen, wo ich den Kehricht hintun soll.»
    «Na, dann frag mich doch.» Der Junge verschränkte die Arme und zwinkerte ihr zu. «Na los, frag!»
    «Wo soll der Kehricht hin?»
    «Welcher Kehricht? Deine Kudderschaufel ist leer.» Er lachte und nahm ihr den Besen aus der Hand. «Wart, ich helf dir. Hast ja vor Schreck alles verschüttet.»
    Er fegte den Dreck zu Theres’ Füßen zusammen und schüttete alles in den Eimer neben der Besenkammer.
    «Ich bin übrigens der Urle. Oder auch Ulrich, aber

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