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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Augenblick begann es wenige Schritte neben dem Baumstamm lautstark zu krächzen. Aus einem Lumpenbündel streckten sich zwei winzige Ärmchen und begannen zu zappeln.
    «Ja, sabberlodd! Was ist das denn?»
    Sipple stieß mit der Stiefelspitze gegen das Bündel. Das Kind, das ihn aus aufgerissenen Augen anstarrte, war höchstens vier, fünf Monate alt.
    «Das ist mein Töchterle, die Theres.» Maria Bronner fiel auf die Knie. «Ich fleh Sie an: Lasset Sie uns gehn! Das Kind hat Hunger, und daheim im Dorf wartet mein Hannes auf mich, mein kleiner Bub.»
    «Halt’s Maul und steh auf! Lorenz, du nimmst den Wurm und die beiden Rotzlöffel da. Ich kümmer mich um die Weibsbilder. Und jetzt ab marsch nach Ravensburg!»
    «Warum nach Ravensburg? Was sollen wir da?», fragte die Ältere mit ängstlicher Stimme.
    «Ins Arbeitshaus kommt ihr zwei beiden. Da macht man aus einer Bagasch wie euch anständige Leut.»
    «Aber die Kinder – die kleine Theres?»
    «Die seht ihr so schnell nicht wieder. Weiber wie ihr sollten erst gar keine Bälger in die Welt setzen.»

Teil 1
    Selig sind, die da Leid tragen. 

1
    Mai 1832, Eglingen auf der Rauhen Alb
    «Ist das also dein letztes Wort, Nepomuk Stickl?»
    Der alte Bauer nickte. «Gucket Sie sich die Theres doch an, Herr Stadtrat. Das Mädle verschafft’s ja net mal, die Wassereimer zu schleppen. Zu nix ist die zu gebrauchen, net mal zum Wollekrempeln. Der Bruder ist da von ganz andrem Schlag.»
    «Vielleicht hast du sie ja auch zu knappgehalten?» Der Stadtrat runzelte die Stirn. «Sie schien mir schon beim letzten Besuch arg mager. Viel zu schmächtig für ihre acht Jahre.»
    «Was – was wollet Sie damit sagen?»
    «Nun, du weißt ja wohl noch, was du und deine Frau   – Gott hab sie selig – damals beurkundet habt? Ihr hattet euch verpflichtet, gewissenhaft auf Moral und Physis eurer Pfleglinge zu achten, auf ausreichende Nahrung und Kleidung sowie regelmäßigen Schulbesuch. Stickl, Stickl   …» Er seufzte. «Du glaubst gar nicht, was mir in meiner Eigenschaft als Pfleger schon alles untergekommen ist! Grad für euch Bauern ist das Geld von der Stiftung doch ein rechter Batzen, der euch ins Haus rollt. Da gibt’s Spitzbuben, die stecken das Geld ein, prügeln ihre Pfleglinge wie Sklaven zur Arbeit oder sogar auf den Bettel und lassen sie dabei halb verhungern.»
    «Aber, Herr Stadtrat», stotterte der Alte. «Ich doch net. Ihr kanntet doch mein Weib, so eine herzensgute Frau. Aber jetzt, wo sie tot ist und meine leiblichen Kinder aus dem Gröbstenraus, muss ich doch auch schauen, wo ich bleib. Und vielleicht find ich ja wieder ein neues Eh’weib   …» Er senkte die Stimme. «Das Mädle ist seltsam, mit dem ist nix Rechtes anzufangen. Man weiß nie, was der Theres im Kopf rumgeht. Vielleicht ist sie ja einfach ein bissle blöd.»
    Theres kauerte hinter der zugigen Bretterwand, die ihre Schlafstelle von der Wohnküche trennte, und lauschte. Durch das Astloch in der Wand hatte sie ihren Pflegevater und den vornehmen Gast mit dem knielangen Gehrock und der fliederfarbenen Seidenhalsbinde genau im Blick. Vergangene Woche hatte ihnen dieser Herr vom Münsinger Kirchenkonvent schon mal einen Besuch abgestattet, und die ganze Zeit hatte Theres sich gefragt, was der Mann bei ihnen wollte. Nun aber wurde ihr schlagartig klar, dass es um sie ging. Und dass es nichts Gutes verhieß.
    Sie ballte die Fäuste. Wie gemein der Alte war, sie vor einem Fremden dermaßen schlechtzumachen! Nur zu gut erinnerte sie sich noch an jenen Tag im letzten Herbst, als der junge Visitator des Armenkollegiums aufgetaucht war, unangekündigt wie immer, um nach dem Rechten zu sehen. Er hatte geschimpft damals, dass ihm die Theres von Mal zu Mal verwahrloster erscheine, und buchstabieren könne sie auch immer noch nicht. Ob sie denn nicht zur Schule gehe? Sehr wohl schicke er sie dorthin, hatte der alte Bauer geantwortet, aber sie sei halt wohl nicht gescheit genug für solcherlei Dinge. Theres war fassungslos gewesen: Sie durfte gar nicht zur Schule, weil sonst die Hausarbeit liegen blieb und das Garn für den Wollweber nicht fertig wurde.
    «Stimmt das?», hatte der Beamte sie daraufhin gefragt. «Ja», hatte sie gestottert, mit einem Seitenblick auf den Pflegevater.– «Ist dir die Schule also zu schwierig?» – «Ja, Herr.» Und die Tränen waren ihr vor Scham übers Gesicht gelaufen.
    «Jetzt hol das Mädchen her», hörte sie in diesem Augenblick den Stadtrat sagen. «Ich hab heute noch

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