Die Bibliothek
ausgcliehen.«
- Oha, auf einmal lesen alle ganz gierig Husserl! Man sollte Vorsorge treffen, es wäre vielleicht ganz nütz-lich, seine Werke in mindestens drei Exemplaren dazu-haben . . . Etwas muß faul sein im Staate Dänemark, wenn eine Doktorandin die Werke von Husserl nicht finden kann und ihr nie gesagt worden ist, daß es in der Bibliothek vielleicht jemanden gibt, den sie aufsuchen könnte, um ihn zu fragen, was es mit diesem Mangel auf sich hat. Eine Dystonie, eine Störung im Kommu-nikationsverhältnis zwischen Bürger und Bibliothek.
Bleibt schließlich die Grundfrage: Will man die Bü-
cher schützen oder will man, daß sie gelesen werden?
Ich sage gar nicht, daß man sich entscheiden muß, sie schutzlos zur Lektüre freizugeben, aber man muß sie auch nicht so schützen, daß niemand sie lesen kann.
Und ich sage auch nicht, daß man einen Mittelweg finden muß. Man muß sich entscheiden, welchem der beiden Ideale man Priorität geben will, danach wird man den Realitäten Rechnung tragen und überlegen, wie man das sekundäre Ideal verteidigt. Soll das primäre Ideal die Möglichkeit zur Lektüre der Bücher sein, so muß man versuchen, sie so gut es geht zu schützen, aber im Wissen um die damit verbundenen Risiken.
Will man primär das Buch schützen, so muß man nach Wegen suchen, die seine Lektüre erlauben, aber im Wissen um die damit verbundenen Risiken.
In dieser Hinsicht hat eine Bibliothek die gleichen Probleme wie eine Buchhandlung. Es gibt heutzutage zwei Arten von Buchhandlungen. Zum einen die seriö-
sen, noch mit echten Holzregalen, in denen man, kaum 36
eingetreten, von einem Herrn angesprochen und ge-fragt wird: »Ja bitte, was wünschen Sie?«, woraufhin man eingeschüchtert sofort wieder geht. In solchen Buchhandlungen wird vergleichsweise wenig geklaut.
Aber dort wird auch wenig gekauft. Zum anderen gibt es die Supermarkt-Buchhandlungen, mit Plastikrega-len, in denen man - besonders die Jugend - ungestört umhergeht, sich die Bücher ansieht, sich über Neuer-scheinungen informiert, und dort wird viel geklaut, trotz aller elektronischen Kontrollen. Man kann dort Studenten dabei überraschen, wie sie einander zurau-nen: »He, schau mal, dieses Buch ist interessant, das gehe ich morgen klauen.« Dann werden einschlägige Informationen ausgetauscht, zum Beispiel: »Paß auf, wenn sie dich bei Feltrinelli erwischen, geht's dir schlecht.« - »Na gut, dann gehe ich eben zu Marzocco klauen, da haben sie jetzt einen neuen Supermarkt auf-gemacht.« Die Manager solcher Buchhandelsketten wissen jedoch sehr wohl, daß ab einer bestimmten Größe eine Buchhandlung mit hoher Diebstahlquote auch eine Buchhandlung mit hohem Umsatz ist. In Kaufhäusern wird sehr viel mehr gestohlen als in Drogerien, aber Kaufhäuser sind Bestandteil großkapitali-stischer Handelsketten, während Drogerien zum relativ einkommensschwachen Kleinhandel gehören.
Übertragen wir nun diese Fragen des wirtschaftli-chen Profits auf solche des kulturellen Gewinns, der sozialen Kosten und Nutzen, so stellt sich dasselbe Problem für die Bibliotheken: größere Risiken in der Frage des Schutzes der Bücher einzugehen, um dafür alle sozialen Vorteile einer größeren Verbreitung der Bücher zu haben.
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enn also die Bibliothek, wie es Borges will, ein W Modell des Universums ist, so sollten wir versuchen, sie in ein dem Menschen gemäßes Universum zu verwandeln, und dem Menschen gemäß, ich wiederhole es, heißt auch fröhlich, auch mit der Möglichkeit, einen Kaffee zu trinken, auch mit der Möglichkeit, daß Studentenpärchen einen Nachmittag lang auf dem So-fa sitzen können, nicht um sich dort abzuknutschen, sondern um einen Teil ihres Flirts zwischen Büchern auszuleben, Büchern von wissenschaftlichem Interes-se, die sie sich aus den Regalen holen und wieder zu-rückstellen. Mit einem Wort: eine lustvolle Bibliothek, in die man gerne geht und die sich allmählich in eine große Freizeitmaschine verwandelt, wie das Museum of Modern Art in New York, wo man ins Kino gehen, durch den Garten schlendern, die Statuen betrachten und eine komplette Mahlzeit einnehmen kann.
Ich weiß mich einig mit der UNESCO: »Die Bibliothek . . . muß leicht zugänglich sein, ihre Pforten müssen allen Mitgliedern der Gesellschaft offenstehen, so daß jeder sie frei benutzen kann, ohne Ansehen von Rasse, Hautfarbe, Nationalität, Alter, Geschlecht, Re-ligion, Sprache, Personen- und Bildungsstand.« Eine revolutionäre Idee. Und
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