Die Bismarcks
gesamte Ausbildungszeit vor Ort verbringen. Rasch nacheinander absolvierte er die Domänen- und Forstabteilung sowie das Militär- und Kommunal-Departement, später auch das katholische und das evangelische ›Cultus-Departement‹.
Aachen war zu dieser Zeit ein Bad mit internationalem Flair. Es gehörte erst seit 20 Jahren zu Preußen. Viele Engländer machten hier Station zu Beginn der großen Kavaliersreise, die sie vom Rheinland aus nach Italien führte. Aber auch Franzosen, Holländer und vor allem Engländerinnen hielten sich an diesem Treffpunkt der europäischen Hocharistokratie auf. Bismarck verliebte sich sogleich in zwei Damen von der Insel, wie er seinem Bruder Bernhard in einem Brief beichtete. Für die lebensfrohen Rheinländer hatte Bismarck, dem ländlichen Raum erst seit wenigen Jahren entronnen, nur Verachtung übrig: »… die Männer sind filzig und roh, ohne Erziehung und élevation d’âme, und die Weiber sind fett und kleinstädtisch und durchgängig mit … étouffantem Geruch behaftet.« 19
Umgeben von schwerreichen Millionenerbinnen, wenn man heutige Maßstäbe zugrunde legt, erhöhte Bismarck nun den Einsatz. Er spielte im Wiesbadener Casino Roulette und verlor dabei so viel Geld, dass er für einen Augenblick an Selbstmord dachte. Ein Sturz vom Pferd erlöste ihn von diesem Gedanken, bei der Lektüre von Cicero und Spinoza fand er Ruhe, während er sich von dem Sturz erholte. Dann kam der Schock: Die Engländerin, die er zu ehelichen gedachte, entpuppte sich als kleine Hochstaplerin. Sie war weder die Tochter noch die Nichte des Herzogs von Cleveland. Aber Bismarck hatte noch nicht genug, er spielte weiter mit dem Feuer. Im Januar 1837 begann der 21-Jährige eine Affäre mit einer 36-jährigen verheirateten Französin, »›une femme de qualité‹, … sehr gut konserviert und kokett mit Geschmack«, wie er prahlte.
Dann verliebte er sich in eine anscheinend noch hübschere Engländerin, ging mit der Dame auf Reisen und blieb für Monate von seiner Dienststelle fern. Für seinen amourösen Trip hatte er lediglich acht Tage Urlaub beantragt, sodass seine Abwesenheit bei den Vorgesetzten sehr schlecht ankam. Die Reise mit der Engländerin dauerte auch gar nicht sehr lange. Ein offenbar wesentlich wohlhabenderer Oberst spannte dem Referendar die schöne Britin aus. Betroffen kehrte Bismarck aus der Schweiz nach Deutschland zurück, aber nicht nach Aachen, sondern auf den Kniephof. Aachen war für ihn ein zu heißes Pflaster geworden, dort warteten die Gläubiger auf ihn. Aus Pommern meldete sich Otto beim Regierungspräsidenten in Potsdam, um seine Referendarausbildung fortzusetzen. Das Gesuch wurde bewilligt. Aber schon bald darauf brach Bismarck auch hier seine Zelte ab und beendete seine Tätigkeit im Staatsdienst.
Mehrere Ursachen für diese Entscheidung waren zusammengekommen: Bismarck hasste die Bürokratie, den Staub in den Amtsstuben. Seinem Vater schrieb er: »Der preußische Beamte gleicht dem einzelnen im Orchester, mag er die erste Violine oder den Triangel spielen: ohne Übersicht und Einfluss auf das Ganze muss er sein Bruchstück abspielen, wie es ihm gesetzt ist, er mag es für gut oder schlecht halten. Ich will aber Musik machen, wie ich sie für gut erkenne, oder gar keine …« 20
Otto spürte, dass er an anderer Stelle dringend benötigt wurde. Sein Vater, auf die 70 zugehend, war mit der Verwaltung der Güter überfordert. In Schönhausen mussten Grundstücke veräußert werden, auch wegen der aufgehäuften Schulden von Otto. Und Bismarcks Mutter war an Krebs erkrankt. In diesem kritischen Moment des eigenen Daseins und des Lebens in der Familie beschloss der mittlerweile 23-Jährige im Spätsommer 1838, Landwirt zu werden. »Unabhängigkeit des Privatlebens« hieß die Devise. Schon zuvor hatte er geseufzt: »Öfters regt sich noch der Wunsch, die Feder mit dem Pflug und die Mappe mit der Jagdtasche zu vertauschen; doch das bleibt mir ja immer noch übrig.« 21 Stendhal schrieb in Rom in diesen Wochen wie im Rausch innerhalb von 52 Tagen seinen weltberühmten Roman Die Kartause von Parma.
Zwei Jahre lang hatte sich Bismarck im Westen Preußens aufgehalten, doch die einsetzende Industrialisierung mit ihren von England und von Belgien her kommenden Einflüssen war ihm offenbar vollkommen entgangen. In jedem Fall hielt er es für nicht erforderlich, diese Prozesse zu beobachten und zu analysieren. Ebenso wenig hatte er zu dem aufstrebenden rheinischen
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