Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben
1
Es hatte so einfach
ausgesehen: Türen ausbauen, Schubladen rausziehen, den Korpus aus Birkenholz
hochwuchten und dann im Schneckentempo das Treppenhaus nach unten. Schritt für
Schritt. 42 Stufen. Von da waren es nur noch ein paar Meter bis zum Umzugswagen.
Die kleine Wohnung, die
ewige Parkplatzsuche, Lärm und Abgase: Kiki hatte viele gute Gründe, vom Kölner
Eigelstein wegzuziehen. Im Umzugsstress fiel ihr kein einziger mehr ein. Wo
blieb Max nur? Wie lange konnte es dauern, Greta zu Oma und Opa zu bringen? Max’
Eltern hatten sich bereit erklärt, am Umzugstag auf ihre siebzehn Monate alte
Enkelin aufzupassen. Seit Max das Designstudium abgeschlossen hatte, übernahm
er ab und an Aufträge für die Firma seines Vaters. Ein explosives
Gegengeschäft.
»Das ist bei denen wie
bei Krieg und Frieden«, sagte Kiki immer. »Viel Krieg, wenig Frieden.
Waffenstillstand gibt’s bloß, wenn sie auf Greta aufpassen dürfen.«
Die Großeltern Thalberg
unterhielten ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Beinahe-Schwiegertochter, die
wie ein Blitz in das Leben ihres Sohnes eingeschlagen war. Vermutlich
bombardierten sie Max gerade mit gut gemeinten Ratschlägen, um ihn zu
überzeugen, sich die Sache mit dem Umzug noch mal zu überlegen.
Kiki war froh, dass die
Dienstagsfrauen ihr beim Umzug zur Seite standen. Caroline half Kiki beim
schweißtreibenden Abstieg mit Kommode, Eva zerlegte Bücherregale, und Judith
verstaute das kunterbunte Sammelsurium von Kikis Besitztümern in Kartons. Nur
Estelle, die in ihrem figurbetonten Overall am ehesten nach Möbelpacker aussah,
war verschwunden. Höchstwahrscheinlich kontrollierte sie in der Küche, ob der
mitgebrachte Champagner bereits die richtige Temperatur für eine Pause hatte.
»Jeder so, wie er
kann«, hatte Kiki als Losung ausgegeben.
Estelle konnte nicht
viel und wollte noch weniger. Normalerweise täuschte die reiche
Apothekersgattin reflexartig familiäre Verpflichtungen vor, bevor jemand das
Wort Umzugshilfe auch nur ausgesprochen hatte. Seit Stiefsohn Alexander jedoch
samt angetrauter Stiefschwiegertochter nach Köln gezogen war, um Estelles Mann
bei der Führung des Unternehmens zu unterstützen, erschien ihr jeder Umzug
attraktiver als ein Familientreffen.
Von der Straße schallte
aufgeregtes Stimmengewirr. Auf dem Bürgersteig diskutierte Zekeriya, Kikis
türkischer Nachbar vom Brautmodengeschäft, mit den Besuchern des benachbarten
Wettbüros über die zweckdienliche Beladung des Umzugswagens. Eigentlich hatten
sich die Wettkönige in spe nur zum Rauchen auf der Straße versammelt. Das hielt
sie nicht davon ab, dezidierte Meinungen zu vertreten. Zu wetten gab es an
diesem frühen Sonntagmorgen nichts, zu palavern umso mehr. Zekeriya beharrte
darauf, Diesel im Blut und deswegen grundsätzlich recht zu haben. Sein Opa,
Vater, Bruder, sämtliche Onkel und Schwager verdienten ihr Geld im Im- und
Exportgeschäft. Es war ihm eine Ehre gewesen, für Kiki und Max kostengünstig
einen Lkw zu organisieren. Außer einem Zehnersatz »Leuchtbild Wasserfall mit
realistischem 3-D-Bewegungseffekt« war der Laster leer. Immer noch. Kiki und
Caroline waren mit der Kommode auf der ersten Biegung im Treppenhaus hängen
geblieben. Da half kein Drehen, kein Wenden, kein Fluchen und Lamentieren. Kiki
klemmte zwischen Geländer und Schrank fest. Das Gewicht der Welt lastete auf
ihren Unterarmen. Es ging weder vor noch zurück.
»Aufs Land ziehen? So
ein Unsinn!«, schimpfte sie. »Welcher Dämon hat mir bloß ins Ohr geflüstert,
dass ich meinem Leben einen neuen Dreh geben muss? Ich schaff noch nicht mal
die Kurve im Treppenhaus.«
»Rein theoretisch kann
das Ungetüm nie in deiner Wohnung gewesen sein«, stöhnte Caroline mit hochrotem
Kopf. Mit letzter Kraft stemmte sie die Kommode ein Stück höher.
»Mehr nach links. Nach
links. Meine Hand«, brüllte Kiki. Die Kanten des Schranks schnitten ihr scharf
ins Fleisch. »Wer sagt, dass man nicht auch in einer Stadtwohnung Kinder
großziehen kann. Notfalls im Treppenhaus«, ächzte sie.
Bei Caroline machte
sich zunehmend Verzweiflung breit: »Tu irgendwas, dreh um!«
»Geht nicht«, schrie
Kiki zurück. »Ich stecke fest.«
Ihre panischen Stimmen
hallten bis auf die Straße.
»Ihr hättet die Kommode
hochkant nehmen müssen«, meldete Judith sich aus dem Hintergrund. Sie
verkannte, dass in dieser Lage alles gebraucht wurde, nur kein guter Ratschlag.
Die Kraftausdrücke und Verwünschungen, die augenblicklich aus
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