Die Bismarcks
kann mir gar nicht denken«, fuhr er fort, »wie das Wesen beschaffen sein müsste, welches mich in Versuchung führen sollte, mich um ihre Hand zu bewerben.« Der vollbärtige Junggeselle galt als riskante Partie. Hinter seinem Rücken flüsterte man, Bismarck sei Atheist. Seine losen Sprüche verunsicherten, seine Streiche waren in der Gegend bekannt. Den »tollen Bismarck« nannten ihn die Leute.
Wenn in Kniephof jemand nicht pünktlich zu einer Verabredung erschien, konnte es passieren, dass der Hausherr den Schläfer mit einem Schuss durchs offene Schlafzimmerfenster weckte. Von der Decke rieselte dann der Kalk aufs Bett. Angst war für Bismarck ein Fremdwort. Er erhielt die Rettungsmedaille, als er bei einer Reserveübung seinen Reitknecht vor dem Ertrinken bewahrte. Er pflegte einen an Cholera Erkrankten und wies Wirtshausschläger und Krawallmacher in ihre Schranken. Als in einer westernreifen Situation einmal ein Mann in einer Kneipe den König beleidigte, drohte ihm Bismarck, sein Bierglas auf dem Kopf des Kontrahenten zu zertrümmern, falls er nicht sofort den Raum verlasse. Der Mann blieb, Bismarck trank sein Glas aus und zerschlug es auf dem Schädel des Mannes. In die atemlose Stille im Raum hinein fragte er: »Kellner, was kostet das Glas?«
Um etwas gegen diese innere Leere zu unternehmen, begab sich der Rastlose nun auf Wanderschaft. Er reiste, um sich »in fremden Climaten auszudünsten«, wie es in einem Brief an von Klitzing hieß. Für mehrere Monate fuhr Otto nach England, Frankreich und die Schweiz. In York fiel ihm zwar die Höhe der Kathedrale auf, mehr interessierten ihn jedoch die Kasernen und Ställe des Husarenregiments, dem er einen Besuch abstattete. In Manchester besichtigte er die damals größte Maschinenfabrik der Welt. Aber wie seinerzeit in Aachen entging Bismarck die Situation der Arbeiter, die Schattenseite der Industrialisierung. Er hatte nur ein Auge für den technischen Fortschritt, für Neuheiten. Nur kurz nach dem Besuch in Manchester kam es dort zu einer großen Streikbewegung, aber derlei nahm er nicht zur Kenntnis.
Bleibenden Eindruck hinterließen bei Bismarck hingegen wie in Aachen die Begegnungen mit der englischen Aristokratie. Beim Besuch des Londoner Oberhauses gefiel ihm die Mischung von Zeremoniell und Ungezwungenheit. Auf der Rückreise nach Deutschland bestellte Bismarck bei einem Stopp in Lüttich in einem Restaurant eine Portion Austern. Zunächst kamen 25 Stück, dann orderte er weitere 50 nach. Schließlich entschied er sich, keine anderen Gerichte zu verspeisen, und bestellte zur Erheiterung der Anwesenden noch 100 Austern zusätzlich, also insgesamt 175.
Extreme Pendelausschläge häuften sich jetzt bei ihm. Einerseits nahm der allgemeine Verdruss am Leben zu, andererseits war er in gewissen Momenten dazu bereit, eine Vernunftehe einzugehen. Nachdem er 1844 auf Norderney seine gesamte Barschaft verspielt hatte, gab er sogar vorübergehend den Vorsatz auf, nie wieder im Staatsdienst zu arbeiten, und leistete Ende 1844 ein sechswöchiges Volontariat in der Verwaltung. Ein ihm bekannter Minister hatte ihm die Stelle verschafft. Aber die Verwaltungsarbeit erschöpfte ihn noch mehr und noch schneller, als dies schon in der Referendarzeit der Fall gewesen war. Zum vorzeitigen Abschied sagte er dem Portier in Brandenburg an der Havel: »Sagen Sie dem Herrn Oberpräsidenten von mir, ich wäre fortgegangen, aber ich käme auch nicht wieder.«
Stattdessen schmiedete Bismarck noch größere Reisepläne. Zusammen mit seinem Freund Oskar von Arnim wollte er nach Ägypten und Syrien fahren, vielleicht sogar bis nach Indien. »So denke ich, einige Jahre Asiat zu spielen, um etwas Veränderung in die Dekoration meiner Komödie zu bringen«, schrieb er.
Aber die Dinge kamen ganz anders. Bei einem Besuch auf dem Kniephof verliebte sich von Arnim in Bismarcks Schwester Malwine. Ein Jahr später heiratete er die 16-Jährige. Schweren Herzens ließ Bismarck die geliebte kleine Schwester ziehen, die ihm den Haushalt geführt hatte. »Er war mit ihr wie mit einer Braut«, flüsterten sich die Bauern zu. Während seines ganzen Lebens hielt Bismarck einen engen Kontakt zur Schwester. Bismarcks Sohn Wilhelm heiratete später Malwines Tochter Sybille, seine Cousine.
Als Bismarck 30 Jahre war, starb sein Vater. Auf Beschluss der Brüder wurde Kniephof verpachtet, Otto ging nach Schönhausen, und Bernhard übernahm Jarchlin. Er war seit 1840 Landrat in dieser Gegend
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