Die Bismarcks
die der nationalsozialistischen Druckwelle noch widerstanden, gab es Bismarck-Verehrer, Freunde und Unterstützer. Sie hatten ihren Anteil daran, dass Gottfried und Albrecht den Krieg überlebten.
Zu der Geschichte der Bismarcks gehört auch, die Karrierechancen der zweiten und dritten Generation in größere Kontexte zu stellen. Erst dann bemerkt man, dass sie nach der überragenden Figur des Reichsgründers in den beiden darauffolgenden Generationen drei Beinahe-Außenminister gestellt haben, mit Herbert von Bismarck, seinem ältesten Sohn Otto, familienintern Otto II. genannt, und dessen Bruder Gottfried. Der Versuch, in die große Politik zurückzukehren, wurde 1965 abgebrochen, etwa zu dem Zeitpunkt, als die letzten jener Generation starben, die den Reichsgründer noch aus eigenem Erleben kannten.
Vor wenigen Jahren gab es einen halbherzigen Versuch eines Familienmitglieds, in der vierten Generation in die deutsche Politik zurückzukehren. Der Spitzname, den dieser Bismarck erhielt, nämlich faulster Parlamentarier zu sein, besagt alles. Das Image der Bismarcks in der deutschen Öffentlichkeit könnte besser sein. Es ist der Familie seit 1975, seit dem Tod von Otto II. , nicht mehr gelungen, Themen zu besetzen, Diskussionen über die Zukunft der Bismarcks in einer modernen demokratischen Gesellschaft auszulösen. In den Presseausschnittsammlungen dominiert Gunilla.
Das Interesse an den Bismarcks verlor sich in Deutschland in den 1970er- und 1980er-Jahren nicht nur wegen des Verschwindens der Erlebensgeneration. Es verschwand auch deswegen, weil die politische Geschichte nach 1968 in der akademischen Geschichtsforschung ins Hintertreffen geriet. Dabei eignet sie sich in besonderer Weise, um die Rolle und Persönlichkeit des Reichsgründers angemessen zu beschreiben. Stattdessen dominierte nun eine Sozialgeschichte in Form einer historischen Sozialwissenschaft, die dem Stellenwert und der Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte wenig Handlungsspielraum einräumte. In der angelsächsischen Welt wurde der Trend in diesem Umfang und mit dieser Radikalität nicht mitvollzogen. Vor allem in Großbritannien blieb das Interesse an Biografien, auch an Bismarck-Biografien, ungebrochen. Nicht von ungefähr werden die bekanntesten britischen Historiker ins Deutsche übersetzt. Umgekehrt ist dies höchst selten der Fall.
Die deutsche Wiedervereinigung mit der herausragenden Rolle einiger weniger Akteure – Bush d. Ä., Gorbatschow, Kohl und Delors – war dann eine glänzende Bestätigung jener Historiker, die wie Andreas Hillgruber oder Klaus Hildebrand gegen die Moden der Zeit den Handlungsspielraum und damit die Unverwechselbarkeit von Akteuren in einem historischen Augenblick betont hatten. In gewisser Weise war 1989/90 somit wieder »Bismarck-Zeit«. Dass Menschen Geschichte machen, bestätigte sich in diesen Monaten, die einem historischen Katarakt glichen, auf eindringliche Art und Weise.
Aber die deutsche Geschichtswissenschaft hat bis zum heutigen Tag die Folgen von 1989/90 für das eigene Fach nicht wirklich thematisiert. 1 Genauso kritisch sieht die Bilanz für die Politische Wissenschaft aus, die mit Theorien, Modellen und Vorhersagen arbeitet, aber die Entwicklungen im Vorfeld des Herbstes 1989 – die Rolle der Gewerkschaft Solidarno´s´c, die Leuchtturmfunktion des polnischen Papstes, das Loch im ungarischen Grenzzaun – verschlief und am Ende vom Fall der Berliner Mauer vollständig überrascht wurde. In der Gestalt von Akteuren wie Václav Havel und Lech Wałesa, die trotz persönlicher Bedrängnis »in der Wahrheit leben wollten«, bestätigte sich eine Aussage von Christa Wolf. Sie sagte bei der Verleihung des Büchner-Preises im Jahre 1980, zehn Jahre vor der Wiedervereinigung: »Die Sprache der Literatur (kommt) der Wirklichkeit am nächsten.«
Richtig ist, dass die Bismarcks in der dritten Generation keine Geschichte geschrieben haben, allenfalls Beinahe-Geschichte, wenn man an Gottfrieds Auftritt am 20. Juli 1944 denkt. Aber es scheint angebracht, erneut an die Rolle von Otto von Bismarck zu erinnern, die dieser als großer Anführer der europäischen Politik zwischen 1871 und 1890 spielte. Geschichte wiederholt sich nicht, das ist richtig. Aber richtig ist auch, dass Deutschland auf andere Weise in die Situation geraten ist, in der es sich schon einmal vor 100 Jahren befunden hat: als verdeckt halbhegemoniale europäische Zentralmacht. Seit dem Jahr 2011 tauchen Artikel, die diese
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