Die blaue Sonne der Paksi
wenn sie in das Alter der Weisheit eintraten, aber das waren Ausnahmen, und zu ihnen gehörte sie nicht. Es drängte sie, zu tun, was Brauch war und ihrem Alter angemessen, und sie war glücklich, daß sie zu der knappen Hälfte ihrer Altersgefährten gehörte, die den höchsten Ansprüchen genügten. Nach ihrer Rückkehr auf die Erde und nach einer angemessenen Vorbereitungszeit würde sie eine Gruppe von drei bis fünf Kindern im Alter von vier Jahren übernehmen, gemeinsam mit ihren Eltern ihre Charaktere, Talente und Neigungen ausforschen und prägen, mit ihnen reisen und ihnen die Welt zeigen, ihnen die Anfangsgründe menschlichen Wissens beibringen und sie so bis zu ihrem zehnten Lebensjahr auf den Besuch der Schule vorbereiten – die komplizierteste, aufopferungsvollste, aber auch an Entdeckungen reichste und schönste Arbeit, zu der sich Hellen schon seit Jahren unwiderstehlich hingezogen fühlte.
Kein einziger Fehlschlag ihres Lebens würde sie so geschmerzt haben wie ein negatives Ergebnis jener Prüfungen, aber sie hatte sie bestanden, und kein Erfolg ihres bisherigen Lebens hatte sie so stolz gemacht!
Mit einem Gefühl der Ausgeglichenheit erhob sich Hellen. Jetzt konnte sie zu den anderen gehen, jetzt fühlte sie sich frisch, stark und lebendig und der Freude gewachsen wie auch der Enttäuschung, wenn sich die Meldung von dem toten Tier als Irrtum herausstellen sollte.
Sie trat hinaus gerade in dem kurzen, viel zu vergänglichen Augenblick, in dem dieser Planet der heimatlichen Erde am ähnlichsten war: kurz bevor die Sonne aufging. Statt des Morgenrots gab es hier ein Morgengelb, und dort, wo sich gleich die Sonne erheben würde, erschien ein Strahlenkranz, in Farbe und Leuchtkraft der irdischen Sonne fast gleich, und auch der Himmel, heute wiederum wolkenlos wie an den letzten beiden Tagen, hatte jetzt den irdischen Azur. Alle Farben der Landschaft wirkten vertraut und heiter.
Hellen sah nicht zuerst auf den Fund, sondern in die Gesichter ihrer Gefährten, die sich – bis auf den schlafenden Juri – hier versammelt hatten und ihr erwartungsvoll entgegenblickten. Sie hatten wohl gerade Bemerkungen über den Fund ausgetauscht, jetzt aber schwiegen sie, und dieses Schweigen war eine Art Übergabe, eine Aufforderung an die Kommandantin, die Sache in die Hand zu nehmen.
Uttas und Tondos Gesichter drückten jugendliche Munterkeit aus, ein wenig Stolz auch. Nicht daß die beiden den Zufall, die glücklichen Finder gewesen zu sein, als Verdienst empfunden hätten, aber doch hatten sie eine ihrem Alter angemessene naive Freude daran, um die Hellen sie ein wenig beneidete. Rajas braunes Gesicht war sachlich, und ihre Augen blickten wie gewöhnlich gescheit und neugierig in die Welt. Aber in Mings lächelnden Zügen, tief versteckt, glaubte Hellen eine Spannung zu erkennen, die sie nicht zu deuten wußte.
Mit gesammelter Aufmerksamkeit wandte sie sich jetzt dem Fund zu. Sie ging nahe heran und Umschrift ihn dann, um ihn von allen Seiten zu betrachten. Rein äußerlich zeigte der Körper wenig Ähnlichkeit mit denen der höheren Tiere, die sie bisher hatten beobachten können. Die Haut war graubraun und glatt, nicht gemustert, nicht mit Haaren oder Schuppen bewachsen, ohne erkennbare Struktur. Die Füße wiesen den Fund als Sohlengänger aus; der eine Arm endete in einem handähnlichen Greiforgan, der andere war unter dem Rumpf verborgen, und da, was war denn…?
Nein, das war kein Tier. Aber was war es denn? Hellens Gedanken überstürzten sich, sie bemühte sich, nichts davon merken zu lassen, und während sich Einfälle und Vermutungen in ihrem Kopf jagten, beschloß sie zugleich, die anderen selbst herausfinden zu lassen, was sie soeben entdeckt hatte – so wie offenbar auch Ming im Interesse der Jüngeren verfuhr.
Utta brach das Schweigen, sie hielt es nicht länger aus. „Was machen wir jetzt damit?“ fragte sie.
„Nicht anrühren“, sagte Hellen, „nur ansehen. Und schaltet den Heiligenschein an, die Sonne geht auf.“
Alle griffen zum Gürtel, und über ihren Köpfen erschienen, dem aufgehenden Gestirn zugewandt, große violette Scheiben, Felder, die einen Teil der Strahlung, vor allem den kurzwelligen Teil, reflektierten.
Utta und Tondo waren etwas verwundert. Sie hatten keinen Freudentanz erwartet, aber doch wohl Erläuterungen, Versuche der Klassifizierung, Hinweise, aus denen sie lernen konnten – jedenfalls nicht solche Zurückhaltung, wie die Kommandantin sie jetzt zeigte.
Etwas
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