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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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gegenüberlag.
    Der Boden war gefroren. Während Matzerath und der alte Heilandt abwechselnd mit der Spitzhacke wirkten und Maria Efeu neben Steinbänken auszugraben versuchte, machte Oskar sich selbständig und war bald zwischen den Baumstämmen der Hindenburgallee. Welch ein Verkehr! Die von der Höhe und aus dem Werder zurückgezogenen Panzer schleppten sich gegenseitig ab. An den Bäumen — wenn ich mich recht erinnere, waren es Linden — hingen Volkssturmleute und Soldaten.
    Pappschildchen vor ihren Uniformröcken waren einigermaßen leserlich und besagten, daß an den Bäumen oder Linden Verräter hingen. Mehreren Erhängten sah ich ins angestrengte Gesicht, stellte Vergleiche im allgemeinen und im besonderen mit dem erhängten Gemüsehändler Greff an. Auch sah ich Bündel junger Burschen in zu großen Uniformen hängen, glaubte mehrmals Störtebeker zu erkennen — erhängte Burschen sehen aber alle gleich aus — und sagte mir dennoch: jetzt haben sie den Störtebeker gehängt — ob sie auch Luzie Rennwand aufgeknüpft haben?
    Dieser Gedanke beflügelte Oskar. Die Bäume links und rechts suchte er nach einem dünnen hängenden Mädchen ab, wagte sich durch die Panzer hindurch auf die andere Seite der Allee, fand aber auch dort nur Landser, alte Volkssturmmänner und Burschen, die Störtebeker glichen. Enttäuscht klapperte ich mich die Allee bis zum halbzerstörten Cafe Vier Jahreszeiten hinauf, fand nur widerstrebend zurück und hatte, als ich beim Grab der Mutter Truczinski stand und mit Maria Efeu und Laub über den Hügel streute, immer noch die feste und detaillierte Vorstellung einer hängenden Luzie.
    Den Tafelwagen der Witwe Greff brachten wir nicht mehr in den Gemüseladen. Matzerath und der alte Heilandt nahmen ihn auseinander, stellten die Einzelteile vor den Ladentisch, und der Kolonialwarenhändler sagte zu dem alten Mann, dem er drei Päckchen Derby-Zigaretten einsteckte:
    »Vielleicht brauchen wir den Wagen nochmal. Hier ist er einigermaßen sicher.«
    Der alte Heilandt sagte nichts, griff sich aber mehrere Pakete Nudeln und zwei Tüten Zucker aus den fast leeren Regalen. Dann schlurfte er mit seinen Filzpantoffeln, die er während des Begräbnisses, auch auf dem Hin-und Rückweg angehabt hatte, aus dem Laden und überließ es Matzerath, den kümmerlichen Warenrest aus den Regalen in den Keller zu räumen.
    Wir kamen jetzt kaum noch raus aus dem Loch. Es hieß, die Russen seien schon in Zigankenberg, Pietzgendorf und vor Schidlitz. Jedenfalls mußten sie auf den Höhen sitzen, denn sie schössen schnurstracks in die Stadt. Rechtstadt, Altstadt, Pfefferstadt, Vorstadt, Jungstadt, Neustadt und Niederstadt, an denen zusammen man über siebenhundert Jahre lang gebaut hatte, brannten in drei Tagen ab. Das war aber nicht der erste Brand der Stadt Danzig. Pommerellen, Brandenburger, Ordensritter, Polen, Schweden und nochmals Schweden, Franzosen, Preußen und Russen, auch Sachsen hatten zuvor schon, Geschichte machend, alle paar Jahrzehnte die Stadt verbrennenswert gefunden — und nun waren es Russen, Polen, Deutsche und Engländer gemeinsam, die die Ziegel gotischer Backsteinbaukunst zum hundertstenmal brannten, ohne dadurch Zwieback zu gewinnen. Es brannten die Häkergasse, Langgasse, Breitgasse, Große und Kleine Wollwebergasse, es brannten die Tobiasgasse, Hundegasse, der Altstädtische Graben, Vorstädtische Graben, die Wälle brannten und die Lange Brücke. Das Krantor war aus Holz und brannte besonders schön. In der Kleinen Hosennähergasse ließ sich das Feuer für mehrere auffallend grelle Hosen Maß nehmen. Die Marienkirche brannte von innen nach außen und zeigte Festbeleuchtung durch Spitzbogenfenster. Die restlichen, noch nicht evakuierten Glocken von Sankt Katharinen, Sankt Johann, Sankt Brigitten, Barbara, Elisabeth, Peter und Paul, Trinitatis und Heiliger Leichnam schmolzen in Turmgestühlen und tropften sang-und klanglos. In der Großen Mühle wurde roter Weizen gemahlen. In der Fleischergasse roch es nach verbranntem Sonntagsbraten. Im Stadttheater wurden Brandstifters Träume, ein doppelsinniger Einakter, uraufgeführt. Im Rechtstädtischen Rathaus beschloß man, die Gehälter der Feuerwehrleute nach dem Brand rückwirkend heraufzusetzen. Die Heilige-Geist-Gasse brannte im Namen des Heiligen Geistes. Freudig brannte das Franziskanerkloster im Namen des Heiligen Franziskus, der ja das Feuer liebte und ansang. Die Frauengasse entbrannte für Vater und Sohn gleichzeitig. Daß der

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