Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
Holzmarkt, Kohlenmarkt, Heumarkt abbrannten, versteht sich von selbst. In der Brotbänkengasse kamen die Brötchen nicht mehr aus dem Ofen. In der Milchkannengasse kochte die Milch über. Nur das Gebäude der Westpreußischen Feuerversicherung wollte aus rein symbolischen Gründen nicht abbrennen.
    Oskar hat sich nie viel aus Bränden gemacht. So wäre ich auch im Keller geblieben, als Matzerath die Treppen hochsprang, um sich vom Dachboden aus das brennende Danzig anzusehen, wenn ich nicht leichtsinnigerweise auf eben jenem Dachboden meine wenigen, leicht brennbaren Habseligkeiten gelagert gehabt hätte. Es galt, meine letzte Trommel aus dem Fronttheatervorrat und meinen Goethe wie Rasputin zu retten. Auch verwahrte ich zwischen den Buchseiten einen hauchdünnen, zart bemalten Fächer, den meine Roswitha, die Raguna, zu Lebzeiten graziös zu bewegen verstanden hatte.
    Maria blieb im Keller. Kurtchen jedoch wollte mit mir und Matzerath aufs Dach und das Feuer sehen.
    Einerseits ärgerte ich mich über die unkontrollierte Begeisterungsfähigkeit meines Sohnes, andererseits sagte Oskar sich: Er wird es von seinem Urgroßvater, von meinem Großvater, dem Brandstifter Koljaiczek haben. Maria behielt das Kurtchen unten, ich durfte mit Matzerath hinauf, nahm meine Siebensachen an mich, warf einen Blick durch das Trockenbodenfenster und erstaunte über die sprühend lebendige Kraft, zu der sich die altehrwürdige Stadt hatte aufraffen können.
    Als Granaten in der Nähe einschlugen, verließen wir den Trockenboden. Später wollte Matzerath noch einmal hinauf, aber Maria verbot es ihm. Er fügte sich, weinte, als er der Witwe Greff, die unten geblieben war, den Brand lang und breit schildern mußte. Noch einmal fand er in die Wohnung, stellte das Radio an: aber es kam nichts mehr. Nicht einmal das Feuer des brennenden Funkhauses hörte man knistern, geschweige denn eine Sondermeldung.
    Fast zaghaft wie ein Kind, das nicht weiß, ob es weiterhin an den Weihnachtsmann glauben soll, stand Matzerath mitten im Keller, zog an seinen Hosenträgern, äußerte erstmals Zweifel am Endsieg und nahm sich auf Anraten der Witwe Greff das Parteiabzeichen vom Rockaufschlag, wußte aber nicht, wohin damit; denn der Keller hatte Betonfußboden, die Greffsche wollte ihm das Abzeichen nicht abnehmen, Maria meinte, er solle es in den Winterkartoffeln verbuddeln, aber die Kartoffeln waren dem Matzerath nicht sicher genug, und nach oben zu gehen, wagte er nicht, denn die mußten bald kommen, wenn sie nicht schon da waren, unterwegs waren, kämpften ja schon bei Brenntau und Oliva, als er noch auf dem Dachboden gewesen war, und er bedauerte mehrmals, den Bonbon nicht oben im Luftschutzsand gelassen zu haben, denn wenn die ihn hier unten, mit dem Bonbon in der Hand fanden — da ließ er ihn fallen, auf den Beton, wollte drauftreten und den wilden Mann spielen, doch Kurtchen und ich, wir waren gleichzeitig drüber her, und ich hatte ihn zuerst, hielt ihn auch weiterhin, als das Kurtchen zuschlug, wie es immer zuschlug, wenn es etwas haben wollte, aber ich gab meinem Sohn nicht das Parteiabzeichen, wollte ihn nicht gefährden; denn mit den Russen soll man keine Scherze treiben. Das wußte Oskar noch von seiner Rasputinlektüre her, und ich überlegte mir, während das Kurtchen auf mich einschlug, Maria uns trennen wollte, ob wohl Weißrussen oder Großrussen, ob Kosaken oder Georgier, ob Kalmücken oder gar Krimtataren, ob Ruthenen oder Ukrainer, ob womöglich Kirgisen das Matzerathsche Parteiabzeichen beim Kurtchen fänden, wenn Oskar unter den Schlägen seines Sohnes nachgäbe.
    Als Maria uns mit Hilfe der Witwe Greff trennte, hielt ich den Bonbon siegreich in der linken Faust.
    Matzerath war froh, daß sein Orden weg war. Maria hatte mit dem heulenden Kurtchen zu tun. Mich stach die offene Nadel in den Handteller. Nach wie vor konnte ich dem Ding keinen Geschmack abgewinnen. Doch als ich dem Matzerath seinen Bonbon gerade hinten, am Rock, wieder ankleben wollte — was ging mich schließlich seine Partei an — da waren sie gleichzeitig über uns im Laden und, was die kreischenden Frauen anging, höchstwahrscheinlich auch in den Nachbarkellern.
    Als sie die Falltür hoben, stach mich die Nadel des Abzeichens immer noch. Was blieb mir zu tun übrig, als mich vor Marias zitternde Knie zu hocken und Ameisen auf dem Betonfußboden zu beobachten, deren Heerstraße von den Winterkartoffeln diagonal durch den Keller zu einem Zuckersack führte. Ganz

Weitere Kostenlose Bücher