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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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als verteilte jemand Ohrfeigen, dann jedoch, zu meiner Beruhigung, die feste Stimme des Herrn Matzerath, der die frisch Zugestiegenen zurechtwies und sie ermahnte, einen verletzten, halbblinden Menschen, der unter dem Verlust seiner Brille leide, nicht zu schlagen.
    »Mischen Sie sich da nicht rein!« hörte ich einen der Grünhüte brüllen. »Der wird heut' noch sein blaues Wunder erleben. Hat lange genug gedauert.«
    Mein Freund, der Herr Matzerath, wollte, während ich langsam gen Gerresheim fuhr, wissen, was der arme Halbblinde denn verbrochen habe. Das Gespräch nahm sogleich eine merkwürdige Wendung:
    nach zwei Sätzen befand man sich mitten im Krieg, oder vielmehr drehte es sidi um den ersten September neununddreißig, Kriegsausbruch, der Halbblinde wurde Freischärler genannt, der ein polnisches Postgebäude widerrechtlich verteidigt hatte. Merkwürdigerweise war auch Herr Matzerath, der zu dem Zeitpunkt allenfalls fünfzehn Jahre gezählt hatte, auf dem laufenden, erkannte sogar den Halbblinden, nannte ihn Viktor Weluhn, einen armen, kurzsichtigen Geldbriefträger, der während der Kampfhandlungen seine Brille verlor, der brillenlos floh, den Schergen entkam, doch die ließen nicht locker, verfolgten ihn bis Kriegsende, sogar bis in die Nachkriegsjahre hinein, zeigten auch ein Papier vor, im Jahr neununddreißig ausgestellt, einen Erschießungsbefehl. Endlich hätten sie ihn, schrie der eine Grünhut, und der andere Grünhut versicherte, er sei froh, daß die Geschichte jetzt endlich bereinigt sei. Seine ganze Freizeit, auch die Ferien müsse er opfern, damit ein Erschießungsbefehl aus dem Jahre neununddreißig endlich ausgeführt werde, schließlich habe er noch einen Beruf, sei Handelsvertreter, und sein Kumpel habe als Ostflüchtling gleichfalls seine Schwierigkeiten, der müsse noch mal ganz von vorne anfangen, habe im Osten eine gutgehende Maßschneiderei verloren, aber jetzt sei Feierabend; heute nacht wird der Befehl ausgeführt, dann ist Schluß mit der Vergangenheit — wie gut, daß wir noch die Straßenbahn erwischt haben.
    So wurde ich also wider Willen zu einem Straßenbahnführer, der einen zum Tode Verurteilten und zwei Henker mit Erschießungsbefehl nach Gerresheim führte. Auf dem leeren, etwas verkanteten Marktplatz des Vorortes bog ich rechts ein, wollte den Wagen bis zur Endstation nahe der Glashütte führen, dort die Grünhüte und den halbblinden Viktor abladen und mit meinem Freund die Heimreise antreten. Drei Stationen vor der Endhaltestelle verließ Herr Matzerath das Wageninnere, stellte seine Aktentasche, in der, wie ich wußte, aufrecht das Weckglas stand, etwa dorthin, wo berufsmäßige Straßenbahnführer ihre Blechschachtel mit den Butterbroten lagern.
    »Wir müssen ihn retten. Es ist Viktor, der arme Viktor!« Herr Matzerath war offensichtlich erregt.
    »Immer noch nicht hat er eine passende Brille gefunden. Er ist stark kurzsichtig, sie werden ihn erschießen, und er wird in die falsche Richtung blicken.« Ich hielt die Henker für waffenlos. Aber dem Herrn Matzerath waren die sperrig gebauschten Mäntel der beiden Grünhüte aufgefallen.
    »Er war Geldbriefträger bei der Polnischen Post in Danzig. Jetzt übt er denselben Beruf bei der Bundespost aus. Nach Feierabend jedoch hetzen sie ihn, weil es noch immer den Erschießungsbefehl gibt.«
    Wenn ich auch den Herrn Matzerath nicht in allen Punkten verstand, versprach ich ihm dennoch, an seiner Seite der Erschießung beizuwohnen und wenn möglich mit ihm die Erschießung zu verhindern.
    Hinter der Glashütte, kurz vor den Schrebergärten — ich hätte bei Mondschein den Garten meiner Mutter mit dem Apfelbaum sehen können — bremste ich den Straßenbahnwagen und rief ins Wageninnere: »Aussteigen bitte, Endstation!« Sie kamen auch sogleich mit ihren grünen Hüten und schwarzen Hutbändern. Der Halbblinde hatte abermals Mühe mit dem Trittbrett. Dann stieg Herr Matzerath aus, zog zuvor seine Trommel unter dem Rock hervor und bat mich beim Aussteigen, seine Aktentasche mit dem Weckglas mitzunehmen.
    Den noch lange leuchtenden Straßenbahnwagen ließen wir zurück und blieben den Henkern, auch dem Opfer auf den Fersen.
    An Gartenzäunen ging es entlang. Das machte mich müde. Als die drei vor uns stillstanden, bemerkte ich, daß man den Schrebergarten meiner Mutter zum Erschießungsort auserkoren hatte. Nicht nur Herr Matzerath, auch ich protestierte. Die kümmerten sich nicht darum, legten den ohnehin morschen

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