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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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sprechen. Maria, die mir den Kuchen mit den dreißig Kerzen brachte, sagte: »Jetzt biste dreißig, Oskar. Jetzt wird es langsam Zeit, daß du vernünftig wirst!«
    Klepp, mein Freund Klepp, schenkte mir wie immer Jazzschallplatten, brauchte fünf Streichhölzer, um die dreißig Kerzen um meinen Geburtstagskuchen zu entflammen: »Mit dreißig fängt das Leben an!« sagte Klepp; er ist neunundzwanzig.
    Vittlar jedoch, mein Freund Gottfried, der meinem Herzen am nächsten ist, schenkte Süßigkeiten, beugte sich über mein Bettgitter und näselte: »Als Jesus dreißig Jahre zählte, machte er sich auf und sammelte Jünger um sich.«
    Vittlar liebte es immer schon, mich zu verwirren. Ich soll mein Bett verlassen, Jünger sammeln, nur weil ich dreißig Jahre zähle. Dann kam noch mein Anwalt, schwenkte ein Papier, posaunte Glückwünsche, behängte mein Bett mit seinem Nylonhut und verkündete mir und allen Geburtstagsgästen: »Das nenne ich einen glücklichen Zufall. Mein Klient feiert seinen dreißigsten Geburtstag; und just an seinem dreißigsten Geburtstag kommt mir die Nachricht zu, daß der Ringfingerprozeß wieder aufgenommen wird, man hat eine neue Spur gefunden, diese Schwester Beate, Sie wissen doch ...«
    Was ich seit Jahren befürchte, seit meiner Flucht befürchte, kündigt sich heute an meinem dreißigsten Geburtstag an: man findet den wahren Schuldigen, rollt den Prozeß wieder auf, spricht mich frei, entläßt mich aus der Heil-und Pflegeanstalt, nimmt mir mein süßes Bett, stellt mich auf die kalte, allen Wettern ausgesetzte Straße und zwingt einen dreißigjährigen Oskar, um sich und seine Trommel Jünger zu sammeln.
    Sie also, die Schwester Beate, soll meine Schwester Dorothea aus dottergelber Eifersucht ermordet haben.
    Vielleicht erinnern Sie sich noch? Es gab da einen Doktor Werner, der, wie es im Film und im Leben allzu oft vorkommt, zwischen den beiden Krankenschwestern stand. Eine üble Geschichte: die Beate liebte den Werner. Der Werner jedoch liebte die Dorothea. Die Dorothea hingegen liebte niemand oder allenfalls heimlich den kleinen Oskar. Da wurde der Werner krank. Die Dorothea pflegte ihn, weil er auf ihrer Station lag. Das konnte die Beate schlecht ansehen und dulden. Deswegen soll sie die Dorothea zu einem Spaziergang überredet, in einem Roggenfeld nahe Gerresheim getötet oder, besser gesagt, beseitigt haben. Nun durfte die Beate den Werner ungestört pflegen. Sie soll ihn aber so gepflegt haben, daß er nicht gesund wurde, sondern im Gegenteil. Sagte sich die liebestolle Pflegerin womöglich: Solange er krank ist, gehört er mir. Gab sie ihm zuviel Medikamente? Gab sie ihm falsche Medikamente? Jedenfalls starb der Doktor Werner an zuviel oder an falschen Medikamenten, die Beate jedoch gestand vor Gericht weder falsch noch zuviel noch jenen Spaziergang ins Roggenfeld ein, der zu Schwester Dorotheas letztem Spaziergang wurde. Oskar aber, der auch nichts eingestand, doch ein belastendes Fingerchen im Weckglas besaß, verurteilten sie des Roggenfeldes wegen, nahmen ihn aber nicht für voll und lieferten mich in die Heil-und Pflegeanstalt zur Beobachtung ein.
    Allerdings floh Oskar, bevor sie ihn verurteilten und einlieferten, denn ich wollte durch meine Flucht den Wert jener Anzeige, die mein Freund Gottfried machte, erheblich steigern.
    Als ich floh, zählte ich achtundzwanzig Jahre. Vor wenigen Stunden noch brannten rings um meinen Geburtstagskuchen dreißig gelassen tropfende Kerzen. Auch damals, als ich floh, war September. Im Zeichen der Jungfrau bin ich geboren. Doch nicht von meiner Geburt unter den Glühbirnen soll hier die Rede sein, sondern von meiner Flucht.
    Da, wie gesagt, der Fluchtweg in Richtung Osten, Großmutter versperrt war, sah ich mich, wie heutzutage jedermann, gezwungen, in Richtung Westen zu fliehen. Wenn du, der hohen Politik wegen, nicht zu deiner Großmutter kannst, Oskar, dann fliehe zu deinem Großvater, der in Buffalo, in den Vereinigten Staaten lebt. Fliehe in Richtung Amerika; mal sehen, wie weit du kommst!
    Das mit dem Großvater Koljaiczek in Amerika fiel mir noch ein, als die Kuh mich auf der Wiese hinter Gerresheim leckte und ich die Augen geschlossen hielt. Sieben Uhr früh mochte es gewesen sein, und ich sagte mir: um acht machen die Geschäfte auf. Lachend lief ich davon, ließ die Trommel bei der Kuh zurück, sagte mir: Gottfried war müde, er wird womöglich erst um acht oder halb neun die Anzeige machen, nutze den kleinen Vorsprung. Zehn

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