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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Lattenzaun flach, banden jenen Halbblinden, den der Herr Matzerath den armen Viktor nennt, an den Apfelbaum unterhalb meiner Astgabel und zeigten uns im Taschenlampenlicht, da wir weiter protestierten, abermals jenen knitterigen Erschießungsbefehl, den ein Feldjustizinspektor namens Zelewski unterzeichnet hatte. Das Datum zeigte, ich glaube, Zoppot, den fünften Oktober neununddreißig an, auch die Stempel stimmten, es war kaum etwas zu machen; und dennoch redeten wir von den Vereinten Nationen, von Demokratie, Kollektivschuld, Adenauer und so weiter; aber der eine Grünhut wischte alle unsere Einwürfe mit der Bemerkung weg, wir hätten uns da nicht reinzumischen, es gebe noch keinen Friedensvertrag, er wähle genau wie wir Adenauer, doch was den Befehl angehe, der habe noch seine Gültigkeit, sie seien mit dem Papier zu höchsten Stellen gegangen, hätten sich beraten lassen, täten schließlich nichts als ihre verdammte Pflicht, es sei wohl besser, wir würden gehen.
    Wir gingen nicht. Vielmehr rückte sich Herr Matzerath, als die Grünhüte ihre Mäntel öffneten und die Maschinenpistolen herausschwingen ließen, seine Trommel zurecht — in jenem Moment brach ein fast voller, nur leicht eingebeulter Mond die Wolken auf, ließ Wolkenränder metallen, wie den zackigen Rand einer Konservenbüchse blinken — und auf ähnlichem, doch heilem Blech begann Herr Matzerath die Stöcke zu mischen, tat das verzweifelt. Das hörte sich fremd an und kam mir dennoch bekannt vor. Oft und immer wieder rundete sich der Buchstabe O: verloren, noch nicht verloren, noch ist nicht verloren, noch ist Polen nicht verloren! Doch das war schon die Stimme des armen Viktor, die da zur Trommel des Herrn Matzerath den Text wußte: Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben. Und auch den Grünhüten schien der Rhythmus bekannt zu sein, denn sie verkrampften sich hinter ihren vom Mondschein nachgezeichneten Metallteilen, rief doch jener Marsch, den der Herr Matzerath und der arme Viktor im Schrebergarten meiner Mutter laut werden ließen, die polnische Kavallerie auf den Plan. Mag sein, daß der Mond nachhalf, daß Trommel, Mond und die brüchige Stimme des kurzsichtigen Viktor gemeinsam soviele berittene Rosse aus dem Boden stampften: Hufe donnerten, Nüstern schnaubten, Sporen klirrten, Hengste wieherten, Hussa und Heissa... nichts davon, nichts donnerte, schnaubte, klirrte, wieherte, nicht Hussa, nicht Heissa schrie es, sondern glitt lautlos über die abgeernteten Felder hinter Gerresheim, war dennoch eine polnische Ulanenschwadron, denn weißrot, wie die gelackte Trommel des Herrn Matzerath, zerrten die Wimpel an Lanzen, nein, zerrten nicht, schwammen, wie auch die ganze Schwadron unterm Mond, womöglich vom Mond herkommend, schwamm, links einschwenkend in Richtung unseres Schrebergartens schwamm, nicht Fleisch, nicht Blut zu sein schien, dennoch schwamm, gebastelt, dem Spielzeug gleich, herangeisterte, vielleicht vergleichbar jenen Knotengebilden, die der Pfleger des Herrn Matzerath aus Bindfäden knüpft: eine Polnische Kavallerie geknotet, ohne Laut, dennoch donnernd, fleischlos, blutlos und dennoch polnisch und zügellos auf uns zu, daß wir uns zu Boden warfen, den Mond und Polens Schwadron erduldeten, auch über den Garten meiner Mutter, über all die anderen, sorgfältig gepflegten Schrebergärten fielen sie her, verwüsteten dennoch keinen, nahmen nur den armen Viktor mit und auch die beiden Henker, verloren sich dann gegen das offene Land unterm Mond hin — verloren, noch nicht verloren, beritten in Richtung Osten, nach Polen, hinter dem Mond.
    Wir warteten schweratmend ab, bis die Nacht wieder ohne Ereignis war, bis der Himmel sich wieder schloß und jenes Licht wegnahm, das da längst verweste Reiterheere zur letzten Attacke überreden konnte. Ich erhob mich zuerst und gratulierte, obgleich ich den Einfluß des Mondes nicht unterschätzte, dem Herrn Matzerath zu seinem großen Erfolg. Er aber winkte müde und recht niedergeschlagen ab: »Erfolg, lieber Gottfried? Ich habe viel zu viel Erfolg in meinem Leben gehabt.
    Ich möchte einmal keinen Erfolg haben. Aber das ist sehr schwer und erfordert viel Arbeit.«
    Mir gefiel diese Rede nicht, weil ich zu den fleißigen Menschen gehöre und dennoch keinen Erfolg habe. Undankbar wollte mir der Herr Matzerath erscheinen, und so tadelte ich ihn: »Du bist überheblich, Oskar!« wagte ich anzufangen, denn damals duzten wir uns schon. »Alle Zeitungen sind voll von dir. Du hast

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