Die Blechtrommel
Steinmetz den Auftrag meines Freundes nach einer Stunde erledigt hatte. Während mir der Freund umständlich und liebevoll das Werkzeug und die verschiedenen Steinsorten erklärte, machte Herr Korneff, der über den Finger kein Wort verlor, einen Gipsabguß des Fingers ohne Ring. Ich sah ihm bei der Arbeit nur mit einem halben Auge zu, mußte doch der Finger vorbehandelt werden; das heißt, man rieb ihn mit Fett ein, ließ einen Zwirnfaden ums Fingerprofil laufen, trug dann erst Gips auf, teilte mit dem Zwirnfaden die Form, bevor der Gips hart wurde. Zwar ist mir, der ich von Beruf Dekorateur bin, das Anfertigen einer Gipsform nichts Neues, doch bekam der Finger, sobald ihn der Steinmetz in die Hand nahm, etwas Unästhetisches, das sich erst wieder verlor, als der Angeklagte, nach geglücktem Abguß, den Finger wieder an sich nahm, vom Fett reinigte und in seinem Tüchlein versorgte. Mein Freund bezahlte den Steinmetz. Der wollte zuerst nichts annehmen, da er in dem Herrn Matzerath einen Kollegen sah. Auch sagte er, der Herr Oskar habe ihm früher die Furunkel ausgedrückt und gleichfalls nichts dafür verlangt. Als der Guß erstarrt war, nahm der Steinmetz die Form auseinander, lieferte dem Original den Abguß nach, versprach, innerhalb der nächsten Tage noch weitere Abgüsse aus der Stückform zu gewinnen, und begleitete uns durch seine Grabsteinausstellung bis -zum Bittweg.
Eine zweite Taxifahrt brachte uns zum Hauptbahnhof. Dort lud midi der Angeklagte zu einem ausgedehnten Abendessen in den gepflegten Bahnhofsgaststätten ein. Mit den Obern sprach er vertraulich, Woraus ich schloß, daß Herr Matzerath ein Stammgast der Bahnhofsgaststätten sein müsse. Wir aßen Ochsenbrust mit frischem Rettich, auch Rheinsahn, schließlich Käse und tranken hinterher ein Fläschchen Sekt. Als wir wieder auf den Finger zu sprechen kamen, ich dem Angeklagten riet, den Finger als fremdes Eigentum zu betrachten, ihn abzugeben, zumal er jetzt doch den Gipsabguß besitze, erklärte der Angeklagte fest und bestimmt, er betrachte sich als rechtmäßigen Besitzer des Fingers, da man ihm schon anläßlich seiner Geburt, wenn auch verschlüsselt durch das Wort Trommelstock, solch einen Finger versprochen habe; auch könne er die Narben seines Freundes Herbert Truczinski nennen, die fingerlang auf dem Rücken des Freundes den Ringfinger prophezeit hätten; dann gebe es noch jene Patronenhülse, die sich auf dem Friedhof Saspe fand, auch die habe die Maße und die Bedeutung eines zukünftigen Ringfingers gehabt.
Wenn ich anfänglich über die Beweisführung meines neugewonnenen Freundes lächeln wollte, muß ich doch zugeben, daß ein aufgeschlossener Mensch die Folge: Trommelstock, Narbe, Patronenhülse, Ringfinger mühelos begreifen müßte.
Ein drittes Taxi brachte mich nach jenem Abendessen nach Hause. Wir verabredeten uns, und als ich nach drei Tagen der Verabredung gemäß den Angeklagten besuchte, hielt der für mich eine Überraschung bereit.
Zuerst zeigte er mir seine Wohnung, das heißt, seine Zimmer, denn Herr Matzerath wohnte in Untermiete. Anfangs hatte er wohl nur ein recht dürftiges, ehemaliges Badezimmer gemietet, zahlte dann später, als seine Trommelkunst ihm Ansehen und Wohlstand brachte, für eine fensterlose Kammer, die er Schwester Dorotheas Kammer nannte, weitere Miete und scheute sich nicht, auch für ein drittes Zimmer, das zuvor ein gewisser Herr Münzer, Musiker und Kollege des Angeklagten, bewohnt hatte, ein Sündengeld auszugeben, denn jener Herr Zeidler, der Mietherr der Wohnung, trieb, da erum den Wohlstand des Herrn Matzerath wußte, die Mieten unverschämt in die Höhe.
In der sogenannten Kammer der Schwester Dorothea hielt der Angeklagte die Überraschung für mich bereit. Auf der Marmorplatte einer Waschkommode mit Spiegel stand ein Weckglas von jener Größe, wie es meine Mutter Alice von Vittlar zum Einwecken des Apfelmuses aus unseren Kochäpfeln verwendet. Jenes Weckglas jedoch beherbergte den im Spiritus schwimmenden Ringfinger. Stolz zeigte der Angeklagte mir mehrere dicke wissenschaftliche Bücher, die ihn beim Konservieren des Fingers geleitet hatten. Ich blätterte nur flüchtig in den Bänden, verweilte kaum über den Abbildungen, gab aber zu, daß es dem Angeklagten gelungen sei, das Aussehen des Fingers zu wahren, auch nahm sich das Glas mit Inhalt vor dem Spiegel recht hübsch und dekorativ interessant aus; was ich als ein Dekorateur von Beruf immer wieder bestätigen konnte.
Als der
Weitere Kostenlose Bücher