Die Blechtrommel
nur mäßig. Abseits von seinem gehäuften Führungsstab ging Löbsack mit einsamem Buckel auf und ab.
An den Wendemarken seiner zielbewußten Laufbahn war es ihm, der auf den Stiefelabsätzen kehrtmachte, gelungen, alles Gras und die Gänseblümchen auszumerzen.
Als Oskar nach Hause kam, stand das Mittagessen schon auf dem Tisch: Falschen Hasen gab es mit Salzkartoffeln, Rotkohl und zum Nachtisch Schokoladenpudding mit Vanillesoße. Matzerath ließ kein Wörtchen hören. Oskars Mama war während des Essens mit den Gedanken woanders. Dafür gab es am Nachmittag einen Familienkrach wegen Eifersucht und polnischer Post. Gegen Abend bot ein erfrischendes Gewitter mit Wolkenbruch und wunderschön trommelndem Hagel eine längere Vorstellung. Oskars erschöpftes Blech durfte ruhen und zuhören.
SCHAUFENSTER
Längere Zeit lang, genau gesagt, bis zum November achtunddreißig habe ich mit meiner Trommel unter Tribünen hockend, mehr oder weniger Erfolg beobachtend, Kundgebungen gesprengt, Redner zum Stottern gebracht, Marschmusik, auch Chorale in Walzer und Foxtrott umgebogen.
Heute, als Privatpatient einer Heil-und Pflegeanstalt, da das alles schon historisch geworden ist, zwar immer noch eifrig, aber als kaltes Eisen geschmiedet wird, habe ich den rechten Abstand zu meiner Trommelei unter Tribünen. Nichts liegt ferner, als in mir, wegen der sechs oder sieben zum Platzen gebrachten Kundgebungen, drei oder vier aus dem Schritt getrommelten Aufmärsche und Vorbeimärsche, nun einen Widerstandskämpfer zu sehen. Das Wort ist reichlich in Mode gekommen.
Vom Geist des Widerstandes spricht man, von Widerstandskreisen. Man soll den Widerstand sogar verinnerlichen können, das nennt man dann: Innere Emigration. Ganz zu schweigen von jenen bibelfesten Ehrenmännern, die während des Krieges wegen nachlässiger Verdunklung der Schlafzimmerfenster vom Luftschutzwart eine Geldstrafe aufgebrummt bekamen und sich jetzt Widerstandskämpfer nennen, Männer des Widerstandes.
Wir wollen noch einmal einen Blick unter Oskars Tribünen werfen. Hat Oskar denen was vorgetrommelt? Hat er, dem Rat seines Lehrers Bebra folgend, die Handlung an,sich gerissen und das Volk vor der Tribüne zum Tanzen gebracht? Hat er dem so schlagfertigen und mit allen Wassern gewaschenen Gauschulungsleiter Löbsack das Konzert vermasselt? Hat er an einem Eintopfsonntag im August des Jahres fünfunddreißig zum erstenmal und später noch einige Male bräunliche Kundgebungen auf einer zwar weißroten, dennoch nicht polnischen Blechtrommel wirbelnd aufgelöst?
Das habe ich alles getan, werden Sie zugeben müssen. Bin ich, der Insasse einer Heil-und Pflegeanstalt, deshalb ein Widerstandskämpfer? Ich muß diese Frage verneinen und bitte auch Sie, die Sie nicht Insassen von Heil-und Pflegeanstalten sind, in mir nichts anderes als einen etwas eigenbrötlerischen Menschen zu sehen, der aus privaten, dazu ästhetischen Gründen, auch seines Lehrers Bebra Ermahnungen beherzigend, Farbe und Schnitt der Uniformen, Takt und Lautstärke der auf Tribünen üblichen Musik ablehnte und deshalb auf einem bloßen Kinderspielzeug einigen Protest zusammentrommelte.
Damals konnte man noch den Leuten auf und vor Tribünen mit einer armseligen Blechtrommel beikommen, und ich muß zugeben, daß ich meinen Bühnentrick ähnlich wie das fernwirkende Glaszersingen bis zur Perfektion trieb. Ich trommelte nicht nur gegen braune Versammlungen. Oskar saß den Roten und den Schwarzen, den Pfadfindern und Spinathemden von der PX, den Zeugen Jehovas und dem Kyffhäuserbund, den Vegetariern und den Jungpolen von der Ozonbewegung unter der Tribüne. Was sie auch zu singen, zu blasen, zu beten und zu verkünden hatten: meine Trommel wußte es besser. Mein Werk war also ein zerstörerisches. Und was ich mit der Trommel nicht klein bekam, das tötete ich mit meiner Stimme. So begann ich neben den taghellen Unternehmungen gegen die Tribünensymmetrie mit nächtlicher Tätigkeit: während des Winters sechsunddreißig-siebenunddreißig spielte ich den Versucher. Die ersten Unterweisungen im Versuchen der Mitmenschen bekam ich von meiner Großmutter Koljaiczek, die in jenem strengen Winter auf dem Langfuhrer Wochenmarkt einen Stand eröffnete, das heißt: sie hockte sich in ihren vier Röcken hinter eine Marktbank und bot mit klagender Stimme »Fresche Eierchen, Butter joldjelb und Ganschen, nich zu fett, nich zu mager!« für die Festtage an. Jeder Dienstag war Markttag. Mit der Kleinbahn kam sie von
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