Die Blechtrommel
Viereck, zog sich kurz vor Langfuhr ihre Filzpantoffeln für die Eisenbahnfahrt aus, stieg in unförmige Galoschen, henkelte sich in ihre beiden Körbe und suchte den Stand in der Bahnhofstraße auf, dem ein Schildchen anhing: Anna Koljaiczek, Bissau. Wie billig die Eier damals waren! Eine Mandel bekam man für einen Gulden, und kaschubische Butter war billiger als Margarine. Meine Großmutter hockte zwischen zwei Fischfrauen, die »Flunderchen« riefen und »Pomuchel jefälligst!« Der Frost machte die Butter zum Stein, hielt die Eier frisch, schliff die Fischschuppen zu extradünnen Rasierklingen und gab einem Mann Arbeit und Lohn, der Schwerdtfeger hieß, einäugig war, über offenem Holzkohlenfeuer Ziegelsteine erhitzte, die er, in Zeitungspapier verpackt, an die Marktfrauen auslieh.
Meine Großmutter ließ sich vom Schwerdtfeger pünktlich jede Stunde einen heißen Ziegel unter die vier Röcke schieben. Das machte der Schwerdtfeger mit einem eisernen Schieber. Ein dampfendes Päckchen schob er unter die kaum gehobenen Stoffe, eine abladende Bewegung, ein aufladender Schub, und mit dem fast erkalteten Ziegel kam Schwerdtfegers Eisenschieber unter den Röcken meiner Großmutter hervor.
Wie habe ich diese im Zeitungspapier Hitze speichernden und spendenden Ziegelsteine beneidet!
Noch heute wünsche ich mir, als solch backwarmer Ziegelstein unter den Röcken meiner Großmutter, immer wieder gegen mich selbst ausgetauscht, liegen zu dürfen. Sie werden fragen: Was sucht Oskar unter den Röcken seiner Großmutter? Will er seinen Großvater Koljaiczek nachahmen und sich an der ahm Frau vergehen? Sucht er Vergessen, Heimat, das endliche Nirwana?
Oskar antwortet: Afrika suchte ich unter den Röcken, womöglich Neapel, das man bekanntlich gesehen haben muß. Da flossen die Ströme zusammen, da war die Wasserscheide, da wehten besondere Winde, da konnte es aber auch windstill sein; da rauschte der Regen, aber man saß im Trocknen, da machten die Schiffe fest oder die Anker wurden gelichtet, da saß neben Oskar der liebe Gott, der es schon immer gerne warm gehabt hat, da putzte der Teufel sein Fernrohr, da spielten Engelchen blinde Kuh; unter den Röcken meiner Großmutter war immer Sommer, auch wenn der Weihnachtsbaum brannte, auch wenn ich Ostereier suchte oder Allerheiligen feierte. Nirgendwo konnte ich ruhiger nach dem Kalender leben als unter den Röcken meiner Großmutter.
Sie aber ließ mich auf dem Wochenmarkt überhaupt nicht und sonst nur selten bei ihr einkehren.
Neben ihr hockte ich auf dem Kistchen, hatte es in ihrem Arm ersatzweise warm, sah zu, wie die Ziegelsteine kamen und gingen, und ließ mir von meiner Großmutter den Trick mit der Versuchung beibringen. Vinzent Bronskis alte Geldbörse warf sie an einer Schnur auf den festgetretenen Schnee des Bürgersteiges, den Sandstreuer so beschmutzt hatten, daß nur ich und meine Großmutter den Bindfaden sahen.
Hausfrauen kamen und gingen, wollten nichts kaufen, obgleich alles billig war, wollten es wohl geschenkt bekommen oder noch etwas dazu, denn eine Dame bückte sich nach Vinzents ausgeworfener Börse, hatte schon die Finger am Leder, da holte meine Großmutter die Angel mit der leicht verlegenen gnädigen Frau ein, zu sich an die Kiste lockte sie den gutangezogenen Fisch und blieb ganz freundlich: »No Madamchen, beßchen Butter jefälligst, joldjelb oder Eierchen, die Mandel forn Gulden?«
Auf diese Art verkaufte Anna Koljaiczek ihre Naturprodukte. Ich aber begriff die Magie der Versuchung, nicht jener Versuchung, die die vierzehnjährigen Bengels mit Susi Kater in den Keller lockte, damit dort Arzt und Patient gespielt wurde. Das versuchte mich nicht, dem ging ich aus dem Wege, nachdem mich die Gören unseres Mietshauses, Axel Mischke und Nuchi Eyke als Serumspender, Susi Kater als Ärztin, zum Patienten gemacht hatten, der Arzneien schlucken mußte, die nicht so sandig wie die Ziegelsteinsuppe waren, aber den Nachgeschmack schlechter Fische hatten.
Meine Versuchung gab sich nahezu körperlos und hielt mit den Partnern Distanz.
Lange nach Einbruch der Dunkelheit, ein, zwei Stunden nach Geschäftsschluß, entglitt ich Mama und Matzerath. In die Winternacht stellte ich mich. Auf stillen, fast menschenleeren Straßen, aus den Nischen windgeschützter Hauseingänge beobachtete ich die gegenüberliegenden Schaufenster der Delikateßläden, Kurzwarenhandlungen, aller Geschäfte, die Schuhe, Uhren, Schmuck, also Handliches, Begehrenswertes zur Ansicht
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