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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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zitternde, weiß schimmernde Handschuhe reichend, Schugger Leo sein wirres, Freud und Leid nicht unterscheidendes Beileid.
    Als Schugger Leos Handschuhe dem Musiker Meyn, der halb in Zivil, halb in SA-Uniform gekommen war, zuflatterten, geschah ein weiteres Zeichen künftigen Unglücks.
    Aufgescheucht warf sich Leos bleicher Handschuhstoff hoch, flog davon und zog Leo mit sich über Gräber hinweg. Schreien hörte man ihn; doch war es kein Beileid, was da als Wortfetzen in der Friedhofsbepflanzung hängenblieb.
    Niemand rückte von dem Musiker Meyn ab. Dennoch stand er vereinzelt, durch Schugger Leo erkannt und gezeichnet, zwischen der Trauergemeinde und hantierte verlegen mit seiner Trompete, die er extra mitgebracht, auf der er zuvor über Herberts Grab hinweg ganz wunderschön geblasen hatte.
    Wunderschön, weil Meyn, was er seit langem nicht mehr tat, vom Machandel getrunken hatte, weil ihm Herberts Tod, mit dem er in einem Alter war, nahe ging, während mich und meine Trommel Herberts Tod stumm machte.
    Es war einmal ein Musiker, der hieß Meyn und konnte ganz wunderschön Trompete blasen. In der vierten Etage unter dem Dach unseres Mietshauses wohnte er, hielt sich vier Katzen, deren eine Bismarck hieß, und trank von früh bis spät aus einer Machandelflasche, bis er, ich glaube, Ende sechsunddreißig oder Anfang siebenunddreißig in die Reiter-SA eintrat, dort als Trompeter im Musikerkorps zwar viel fehlerloser, aber nicht mehr wunderschön Trompete blies, weil er, in die gelederten Reiterhosen schlüpfend, die Machandelflasche aufgegeben hatte und nur noch nüchtern und laut in sein Blech stieß.
    Als dem SA-Mann Meyn der Jugendfreund Herbert Truczinski starb, mit dem er während der zwanziger Jahre zuerst einer kommunistischen Jugendgruppe, dann den Roten Falken Mitgliederbeiträge gezahlt hatte, als der unter die Erde gebracht werden sollte, griff Meyn zu seiner Trompete und zugleich zu einer Machandelflasche. Denn er wollte wunderschön blasen und nicht nüchtern, hatte sich auch auf braunem Pferd reitend das Musikerohr bewahrt und nahm deshalb noch auf dem Friedhof einen Schluck und behielt auch beim Trompeteblasen den Mantel aus Zivilstoff über der Uniform an, obgleich er sich vorgenommen hatte, über die Friedhofserde hinweg in Braun, wenn auch ohne Kopfbedeckung, zu blasen.
    Es war einmal ein SA-Mann, der behielt, als er am Grabe seines Jugendfreundes ganz wunderschön und machandelhell Trompete blies, den Mantel über der Reiter-SA-Uniform an. Als jener Schugger Leo, den es auf allen Friedhöfen gibt, der Trauergemeinde sein Beileid sagen wollte, bekamen auch alle Schugger Leos Beileid zu hören. Nur der SA-Mann durfte den weißen Handschuh Leos nicht fassen, weil Leo den SA-Mann erkannte, fürchtete und ihm laut schreiend den Handschuh und das Beileid entzog. Der SA-Mann aber ging ohne Beileid und mit kalter Trompete nach Hause, wo er in seiner Wohnung unter dem Dach unseres Mietshauses seine vier Katzen fand.
    Es war einmal ein SA-Mann, der hieß Meyn. Aus Zeiten, da er tagtäglich Machandel getrunken und ganz wunderschön Trompete geblasen hatte, bewahrte sich Meyn in seiner Wohnung vier Katzen auf, deren eine Bismarck hieß. Als der SA-Mann Meyn eines Tages vom Begräbnis seines Jugendfreundes Herbert Truczinski zurückkam und traurig und schon wieder nüchtern war, weil ihm jemand das Beileid verweigert hatte, fand er sich ganz alleine mit seinen vier Katzen in der Wohnung. Die Katzen rieben sich an seinen Reiterstiefeln, und Meyn gab ihnen ein Zeitungspapier voller Heringsköpfe, was die Katzen von seinen Stiefeln weglockte. Es roch an jenem Tage besonders stark in der Wohnung nach den vier Katzen, die alle Kater waren, deren einer Bismarck hieß und schwarz auf weißen Pfoten ging. Meyn aber hatte keinen Machandel in der Wohnung. Deshalb roch es immer mehr nach den Katzen oder Katern. Vielleicht hätte er in unserem Kolonialwarengeschäft welchen gekauft, wenn er seine Wohnung nicht in der vierten Etage unter dem Dach gehabt hätte:Synagoge brannte. Die Synagoge war fast abgebrannt, und die Feuerwehr paßte auf, daß der Brand nicht auf die anderen Häuser übergriff. Vor der Ruine schleppten Uniformierte und Zivilisten Bücher, sakrale Gebrauchsgegenstände und merkwürdige Stoffe zusammen. Der Berg wurde in Brand gesteckt, und der Kolonialwarenhändler benutzte die Gelegenheit und wärmte seine Finger und seine Gefühle über dem öffentlichen Feuer. Sein Sohn Oskar jedoch, der den Vater so

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