Die Blechtrommel
im Schiffahrtsmuseum finden konnte: Segelmesser, Enterhaken, Harpunen, die feinzisilierten Speerspitzen von der Goldküste, Nähnadeln für Segeltuchmacher; und nur der letzte Primaner hatte zuerst zu seinem Taschenmesser und dann zum Schulzirkel greifennen, und Fünfmännerweiber, die gleich einem verschlafenen Binnenwasser kaum Strömung verraten. Wir vereinfachten absichtlich, brachten alles auf zwei Nenner und beleidigten Niobe vorsätzlich und immer unverzeihlicher. So nahm mich Herbert auf den Arm, damit ich dem Weib mit beiden Trommelstöcken auf den Brüsten klöppelte, bis lächerliche Wölkchen Holzmehl aus ihren zwar gespritzten und deshalb unbewohnten, dennoch zahlreichen Holzwurmlöchern stäubten.
Während ich trommelte, blickten wir ihr in jenen, die Augen vortäuschenden Bernstein. Nichts zuckte, zwinkerte, tränte, lief über. Nichts verengte sich bedrohlich zu Haß streuenden Sehschlitzen.
Vollständig, wenn auch konvex verzerrt, gaben die beiden geschliffenen, eher gelblichen als rötlichen Tropfen das Inventar des Ausstellungsraumes und einen Teil der besonnten Fenster wieder. Bernstein trügt, wer weiß das nicht! Auch wir wußten um die heimtückische Manier dieses zum Schmuck erhobenen Harzproduktes. Dennoch und immer noch auf beschränkte Männerart alles Weibliche in Aktiv und Passiv einteilend, werteten wir die offensichtliche Teilnahmslosigkeit der Niobe zu unseren Gunsten. Wir fühlten uns sicher. Herbert klopfte ihr hämisch glucksend einen Nagel in die Kniescheibe: mich schmerzte mein Knie bei jedem Schlag, sie hob nicht einmal die Augenbraue.
Allerlei dummes Zeug trieben wir im Blickfeld des grün schwellenden Holzes: Herbert warf sich in den Mantel eines englischen Admirals, bewaffnete sich mit einem Fernrohr, stellte sich unter den dazupassenden Admiralshut. Ich machte mich mit einem roten Westchen und einer Allongeperücke zum Pagen des Admirals. Wir spielten Trafalgar, beschossen Kopenhagen, zerstreuten Napoleons Flotte bei Abukir, umsegelten dieses und jenes Kap, posierten historisch, dann wieder zeitgenössisch vor der, wie wir glaubten, alles gutheißenden oder nicht einmal bemerkenden Galionsfigur nach den Maßen einer holländischen Hexe.
Heute weiß ich, daß alles zuguckt, daß nichts unbesehen bleibt, daß selbst Tapeten ein besseres Gedächtnis als die Menschen haben. Es ist nicht etwa der liebe Gott, der alles sieht! Ein Küchenstuhl, Kleiderbügel, halbvoller Aschenbecher oder das hölzerne Abbild einer Frau, genannt Niobe, reichen aus, um jeder Tat den unvergeßlichen Zeugen liefern zu können.
Vierzehn Tage lang oder noch länger taten wir Dienst im Schifffahrtsmuseum. Herbert schenkte mir eine Trommel und brachte Mutter Truczinski zum zweitenmal den durch eine Gefahrenzulage erhöhten Wochenlohn nach Hause. An einem Dienstag, da montags das Museum geschlossen blieb, verweigerte man mir an der Kasse das Kinderbillett und den Eintritt. Herbert wollte wissen warum.
Der Mann an der Kasse, zwar mürrisch, aber nicht ohne Wohlwollen, sprach von einer Eingabe, die gemacht worden sei, das gehe jetzt nicht mehr, daß Kinder da rein dürften. Der Vater von dem Jungen sei dagegen, er habe zwar nichts einzuwenden, wenn ich unten bei der Kasse bleibe, da er als Geschäftsmann und Witwer keine Zeit finde zum Aufpassen, aber in den Saal, in Marjellchens gute Stube, dürfe ich nicht mehr, weil unverantwortlich.
Herbert wollte schon nachgeben, ich stieß ihn, stachelte ihn, und er gab dem Kassenmann einerseits recht, nannte mich andererseits seinen Talismann, Schutzengel, sprach von kindlicher Unschuld, die ihn schützen würde, kurz: Herbert befreundete sich beinahe mit dem Kassierer und erwirkte meinen Einlaß für jenen, wie der Kassierer sagte, letzten Tag im Schiffahrtsmuseum.
So stieg ich noch einmal an der Hand meines großen Freundes die verschnörkelte, immer frisch geölte Wendeltreppe hinauf in den zweiten Stock, wo Niobe wohnte. Es wurde ein stiller Vormittag und ein noch stillerer Nachmittag. Er saß mit halbgeschlossenen Augen auf dem Lederstuhl mit den gelben Nägelköpfen. Ich hockte zu seinen Füßen. Die Trommel blieb stimmlos. Wir blinzelten zu den Koggen hinauf, zu den Fregatten, Korvetten, zu den Fünfmastern, zu Galeeren und Schaluppen, zu Küstenseglern und Klippern, die alle unter der Eichentäfelung hingen und auf günstigen Segelwind warteten. Wir musterten die Modellflotte, lauerten mit ihr auf die frische Brise, fürchteten die Windstille der guten
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