Die Blechtrommel
Stube und taten das alles, um nicht Niobe mustern und fürchten zu müssen. Was hätten wir für die Arbeitsgeräusche eines Holzwurmes gegeben, die uns bewiesen hätten, daß das Innere des grünen Holzes zwar langsam, aber unbeirrbar zu durchdringen und auszuhöhlen, daß Niobe vergänglich sei. Aber es tickte kein Wurm. Der Konservator hatte den Holzleib gegen Würmer gefeit und unsterblich gemacht. So blieb uns alleine die Modellflotte, die törichte Hoffnung auf Segelwind, ein verstiegenes Spiel mit der Furcht vor Niobe, die wir aussparten, angestrengt übersahen, die wir womöglich doch noch vergessen hätten, wenn nicht die Nachmittagssonne jäh und voll treffend ihr linkes Bernsteinauge beschossen und entflammt hätte.
Dabei mußte uns diese Entzündung gar nicht überraschen. Wir kannten ja die sonnigen Nachmittage im zweiten Stockwerk des Schiffahrtsmuseums, wußten wieviel Uhr es geschlagen hatte oder schlagen würde, wenn das Licht vom Gesims fiel und die Koggen besetzte. Auch taten die Kirchen der Rechtstadt, Altstadt, Pfefferstadt das ihre, den Ablauf des staubaufwirbelnden Sonnenlichtes mit Uhrzeiten zu versehen und mit historischem Glockengetön unserer Historiensammlung aufzuwarten.
Was Wunder, wenn uns die Sonne historisch wurde, ausstellungsreif und des Komplottes mit Niobes Bernsteinaugen verdächtig.
An jenem Nachmittag jedoch, da wir zu keinem Spiel und provozierendem Unsinn Lust und Mut hatten, traf uns der aufleuchtende Blick des sonst stumpfen Holzes doppelt. Bedrückt warteten wir die halbe Stunde ab, die wir noch ausharren mußten. Punkt fünf Uhr wurde das Museum geschlossen.Am nächsten Tag trat Herbert seinen Dienst alleine an. Ich begleitete ihn bis zum Museum, wollte nicht bei der Kasse warten, suchte mir einen Platz gegenüber dem Patrizierhaus. Mit meiner Trommel saß ich auf einer Granitkugel, der hinten ein von den Erwachsenen als Geländer benutzter Schwanz wuchs.
Müßig zu sagen, daß die andere Flanke der Treppe von gleicher Kugel mit gleich gußeisernem Schwanz bewacht wurde. Ich trommelte nur selten, doch dann gräßlich laut und gegen meist weibliche Passanten protestierend, denen es Spaß machte, bei mir zu verweilen, meinen Namen zu erfragen, mein damals schon schönes, zwar kurzes, aber leicht gelocktes Haar mit schweißigen Händen zu streicheln. Der Vormittag verging. Am Ende der Heiligen-Geist-Gasse brütete rotschwarz, grün kleingetürmt, unter dickem, geschwollenem Turm die Backsteinhenne Sankt Marien. Tauben stießen sich immer wieder aus den klaffenden Turmmauern, fielen in meiner Nähe nieder, redeten dummes Zeug und wußten auch nicht, wie lange die Brutzeit noch dauern sollte, was es da auszubrüten gelte, ob dieses jahrhundertelange Brüten nicht endlich doch zum Selbstzweck würde.
Mittags kam Herbert auf die Gasse. Aus seiner Frühstücksschachtel, die ihm Mutter Truczinski füllte, bis sie nicht mehr zu schließen war, reichte er mir ein Schmalzbrot mit fingerdicker Blutwurst dazwischen. Aufmunternd und mechanisch nickte er mir zu, weil ich nicht essen wollte. Am Ende aß ich, und Herbert, der nichts aß, rauchte eine Zigarette. Bevor ihn das Museum zurückbekam, verschwand er in einer Kneipe der Brotbänkengasse für zwei oder drei Machandel. Ich schaute ihm, während er die Gläser kippte, auf den Adamsapfel. Das wollte mir nicht gefallen, wie er die Gläser in sich hineinschüttete. Als er schon längst die Wendeltreppe des Museums bewältigte, und ich wieder auf meiner Granitkugel saß, hatte Oskar noch immer den ruckenden Adamsapfel seines Freundes Herbert im Auge.
Der Nachmittag kroch über die blaßbunte Museumsfassade. Von Kringel zu Kringel turnte er, ritt Nymphen und Füllhörner, fraß dicke, nach Blumen greifende Engel, ließ reifgemalte Weintrauben überreif werden, platzte mitten hinein in ein ländliches Fest, spielte Blindekuh, schwang sich auf eine Rosenschaukel, adelte Bürger, die in Pluderhosen Handel trieben, fing einen Hirsch, den Hunde verfolgten, und erreichte endlich jenes Fenster des zweiten Stockwerkes, das der Sonne erlaubte, kurz und dennoch für immer ein Bernsteinauge zu belichten.
Langsam rutschte ich von meiner Granitkugel. Die Trommel schlug hart gegen den gestockten Stein.
Lack der weißen Trommeleinfassung und einige Partikel der gelackten Flammen sprangen ab und lagen weiß und rot auf der Treppe zum Beischlag.
Vielleicht sagte ich etwas auf, betete etwas herunter, zählte etwas ab: kurz danach stand der
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