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Die blonde Witwe

Die blonde Witwe

Titel: Die blonde Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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hergab.
    Nach dem zweiten Bier und dem dritten Kaffee verließ ich das »Klösterl« und setzte mich in meinen Wagen, um zur Redaktion zu fahren.
    Auf den Straßen war Hochbetrieb. Die Vorboten des 1. Mai wankten alkoholisiert über die Straßen, auch wenn die Ampeln Rot zeigten. Ich stellte den Polizeifunk an und hörte dem Kampf der Funkstreifen gegen Suff und Rauferei mit an.
    Ich meldete mich bei unserem Nachtredakteur, einem Mann, der meistens alles weiß, und fragte ihn, ob er mir ein Verzeichnis sämtlicher Hotelbesitzer in Starnberg geben könne.
    Er hatte keins; wir suchten vergeblich in unserem Archiv, und da der folgende Tag ein Feiertag war, hatte ich wenig Hoffnung, den Hotelier über das Einwohnermeldeamt ausfindig machen zu können.
    Dafür interessierte sich der Nachtredakteur, für meine Sucherei, und ich erfand eine Ausrede. Als ich die Redaktion verließ, wußte ich, daß ich einen Fehler begangen hatte, einen Fehler, der fast nicht mehr gutzumachen war. Wenn sich nämlich der Hotelier wirklich umbrachte, würde sich der Nachtredakteur an mein Interesse für Starnberger Hoteliers erinnern.
    Ich mußte den Unbekannten von seinem Vorhaben abbringen.
    Am 1. Mai, am Mittwoch morgen also, klapperte ich alle Hotels in Starnberg ab, unterhielt mich überall mit den Portiers oder Empfangschefs in ihren Rezeptionen und versuchte, so diskret wie möglich, etwas über einen braungebrannten Hotelbesitzer, Typ Kolonialoffizier mit dunkelblondem Haar und silberweißen Schläfen, zu erfahren.
    Als ich fertig war, kam mir die Erleuchtung: Das Hotel dieses Selbstmordkandidaten befand sich gar nicht in Starnberg.
    Er hatte mich nur durch die Auswahl des Todeszuges auf diesen Gedanken gebracht.
    Was aber war dann mit dem Mädchen Andrea, das nach Starnberg gefahren war? War sie gar nicht seine Tochter? Hieß sie womöglich auch nicht Andrea? War das nur eine Fangfrage von ihm gewesen, um bei mir auf den Busch zu klopfen?
    Am späten Nachmittag fuhr ich verärgert nach München zurück. Es war zu spät und wäre zu auffällig gewesen, die gleiche Tour noch einmal zu unternehmen und diesmal nach einer Hotelierstochter namens Andrea zu fragen.
    Nun blieb mir nur noch eins übrig: ich mußte den Mann nachts am Zug abfangen, ihm sein Geld zurückgeben und ihn bitten, mir die angebrochenen drei Hunderter ein Weilchen zu kreditieren. Irgendwann würde ich sie ihm zurückzahlen können.
    Kurz vor zwei Uhr morgens war ich auf dem Starnberger Bahnhof. Der Spätzug nach Gauting stand schon da, ein Dieseltriebwagen und mehrere Wagen mit erleuchteten Abteilen. Sie waren tatsächlich fast leer.
    Ich ging durch den Zug, fand aber den Hotelier nicht. Ich wartete draußen, bis der Mann mit der roten Mütze kam, und der Uhrzeiger auf zwei Uhr zehn sprang.
    Noch fünf Minuten bis zur Abfahrt. Vielleicht würde er erst unterwegs zusteigen, in Pasing oder in Lochham.
    Ich sah den Kontrolleur einsteigen. Er würde durch den Zug gehen und die Fahrkarten kontrollieren. Ich besaß nur die Bahnsteigkarte, würde also bis Gauting lösen und an jeder Haltestelle nach meinem Selbstmörder Ausschau halten müssen.
    Plötzlich wurde mir mulmig zumute. Vielleicht hatte er auch das bedacht, vielleicht sogar gerade damit gerechnet? Er würde irgendwo einsteigen, mit einer Pistole in der Tasche, würde sich meine Argumente anhören, würde sein verdammtes, überlegenes und eiskaltes Lächeln sehen lassen und sich vor meinen Augen die Kugel in den Kopf jagen. Und dann hatte er genau das, was er wollte: entweder ich nahm ihm die Pistole weg und blieb ungeschoren, oder ich würde der Polizei eine lange Geschichte erzählen müssen und hätte womöglich ein Verfahren am Bein.
    Kurz vor Abfahrt des Zuges sprang ich ab. Ich lief zu meinem Wagen, der vor dem Bahnhof parkte, und raste die Landsberger Straße entlang und auf der kurvenreichen Strecke durchs Mühltal nach Stockdorf.

    Ich mußte mich ganz auf das Fahren konzentrieren und kam deshalb nicht zum Nachdenken. In Stockdorf bog ich rechts ab, fuhr durch die Bahnunterführung kurz vor der Station und parkte meinen Wagen etwa hundert Meter weiter in einer Seitenstraße. Der Ort war dunkel und wie ausgestorben, als hätten hier niemals Menschen gelebt.
    Ich zündete mir eine Zigarette an, stieg aus, schloß die Wagentür ab und bezog meinen Posten hinter der Station, gedeckt von Zaun und Fliederbüschen.
    Das kleine Stationsgebäude war beleuchtet, aber kein Mensch ließ sich blicken. Auch in der

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