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Die blonde Witwe

Die blonde Witwe

Titel: Die blonde Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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Möglichkeit gegeben, unerkannt zu entkommen. Was aber war hier gespielt worden?
    Ich kroch aus meinem Versteck und ging die Straße entlang, bis ich aus der Ferne einen Überblick über den Bahnhof hatte.
    Ein paar Leute kamen mir entgegen; sie gingen gleichgültig an mir vorbei. Ein weißes Isabella-Coupé, das vor dem Bahnhof geparkt hatte, schoß aufbrummend davon. Die Beleuchtung im Zug war bereits gelöscht, dunkel und leer stand er auf dem Bahnsteig. Niemand außer mir schien eine Ahnung zu haben, daß im ersten Abteil ein Mann den ewigen Schlaf schlief.
    Schließlich ging auch das Licht auf dem Bahnsteig aus.
    Mich fröstelte. Langsam, um nicht aufzufallen, ging ich die Hauptstraße hinunter.
    Bei jedem Schritt spürte ich die Pistole in meiner Tasche, die ich jetzt irgendwo fortwerfen sollte, am besten ins Wasser. So war es vereinbart gewesen. Aber es war auch ein anderer Toter vereinbart gewesen. Die Situation hatte sich geändert.

3

    Während ich durch das nächtliche Gauting marschierte, erforschte ich mein Gewissen. Die Pistole in meiner Tasche erinnerte mich bei jedem Schritt deutlich daran, daß ich im Augenblick jedem Polizisten aus dem Weg gehen mußte.
    Ich versuchte aber auch, die Lage zu erforschen, und um mir das zu erleichtern, erfand ich den Mister I. Mister I war der Mann, den ich im Imbißraum kennengelernt hatte, der angebliche Hotelier und Selbstmordkandidat. Vermutlich lebte er noch und vermutlich freute er sich jetzt, daß ich ihm auf den Leim gekrochen war. Herr X hingegen war der Tote im Zug, der nun ungestört von den Strapazen seines Lebens ausruhen konnte, bis ihn die ersten Fahrgäste heute morgen nochmals für kurze Zeit aus seiner Ruhe schrecken würden.
    Das Stück begann sich zu erweitern: aus einem Kammerspiel mit zwei Personen, war ein Drama mit drei Darstellern geworden. Hoffentlich nahm es nicht noch shakespearische Ausmaße an.
    Ich ließ Gauting hinter mir, ging in Richtung Stockdorf zu meinem geparkten Auto, und zwar auf der linken Seite der Landstraße, wie es sich für Fußgänger gehört.
    Und während ich so ging und in mich hineindachte, kam mir die Erleuchtung.
    An wen wendet man sich, wenn man sich umbringen will und noch einige Dinge nach dem Tode geregelt haben möchte?
    An den besten Freund natürlich.
    Angenommen, Mister Imbiß war der beste Freund eines bankrotten Hoteliers. Er hatte versprochen, die Pistole beiseite zu schaffen, und dann war ihm das Ganze doch zu heiß geworden.
    Was hatte er getan? Das gleiche, was ich vielleicht in diesem Falle tun würde: er hatte sich einen Dummen gesucht, der es für ihn tat. Dabei war er auf den gleichen Gedanken gekommen wie ich. Solche Typen sucht und findet man nachts auf dem Bahnhof. Er hatte mich gefunden. Ich hatte die Pistole. Des toten Hoteliers Witwe hatte die halbe Million von der Versicherung. Und die Polizei hatte einen Mord.
    Diese Theorie, die mir logisch erschien, beruhigte meine Nerven, wenn auch tief in meinem Inneren noch ein Rest Zweifel blieb. Was würde beispielsweise sein, wenn ich morgen in der Zeitung las, daß der Tote gar kein Hotelier in Zahlungsschwierigkeiten war?
    Ich kam nicht mehr dazu, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn vor mir sah ich die abgeblendeten Lichter eines Autos, das mir anscheinend entgegenkam.
    Ich verdrückte mich hinter ein Gebüsch und wartete, aber das Auto kam nicht näher. Wartete es auf mich?
    Du siehst bereits Gespenster, sagte ich mir. Wer sollte hier auf dich warten?
    Also ging ich weiter und erkannte das weiße Isabella-Coupé, das vorhin vom Bahnhof weggefahren war. Die Polizei fährt keine solchen Wagen. Ich ging weiter, war aber darauf gefaßt, sehr rasch in den Wald zu meiner Rechten laufen zu müssen.
    Ich brauchte nicht zu laufen.
    Sie war, soviel ich im schwachen Scheinwerferlicht erkennen konnte, sehr hübsch; ein brauner, südländischer Typ mit blauschwarzem Haar. Kostüm, Hütchen und die Schuhe verrieten, daß sie nicht zu den sozial schwächsten Schichten gehörte. Ihre Stimme war dunkel und warm wie eine Julinacht.
    »Ach, Verzeihung — können Sie mir bitte helfen? Ich habe rechts hinten eine Reifenpanne und bekomme die Radmuttern nicht auf.«
    Möge mir die zuständige Dienststelle im Jenseits verzeihen, ich vergaß den Toten und Mister I. Ich vergaß die halbierten Hunderter und die Pistole in meiner Tasche. Ich dachte nur an festgerostete Radmuttern.
    Und ich sah den schönen, roten Mund und die nachtschwarzen Augen. Und ich dachte, sie

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