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Die blonde Witwe

Die blonde Witwe

Titel: Die blonde Witwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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der Hotelier.
    Weiter.
    Ich erschrak über mein eigenes Lachen. Ein krankes, verrücktes Lachen. Er war ja gar nicht da.
    Ich hastete noch durch die restlichen Abteile, mehr aus Gründlichkeit als aus Überzeugung, den Hotelier zu finden.
    Aber ich fand ihn doch noch. Im letzten Abteil.
    Das erste, was ich sah, war die herabbaumelnde Hand, unter der eine Pistole auf dem staubigen Linoleumboden lag. Er selbst lehnte in der Fensterecke, zur Fahrtrichtung hin. Kopf und Gesicht waren hinter seinem hellen Staubmantel verborgen. Vom Gang aus konnte man die Pistole am Boden nicht sehen. Man mußte ihn für einen Schlafenden halten.
    Ich weiß nicht mehr, was ich dachte. Vermutlich gar nichts. Das Grauen lähmte mich.
    Aber die rollenden Räder, dieses verdammte Rattern, weckte mich auf, zwang mich zum Handeln. Der Tote sollte nicht vergeblich gestorben sein. Er sollte seinen letzten Willen haben und die Versicherung ihren Verlust.
    Außerdem hatte ich mich nicht in ihm getäuscht: noch im Tode bewies er Format. Er hatte sich diskret hinter seinem Mantel erschossen, um mir den Anblick seines Gesichtes zu ersparen.
    Genau über der Pistole pendelte seine leblose Hand. Im Schatten der Deckenbeleuchtung sah sie breiter, kräftiger aus, als ich sie in Erinnerung hatte.
    Ich bückte mich nach der Pistole und entdeckte ein Taschentuch unter dem Sitz. Natürlich, auch daran hatte er gedacht, daß man keine Pulverspuren an seiner Hand finden durfte.
    Ich hob Pistole und Taschentuch auf, steckte beides ein und wollte schon das Abteil verlassen, als mir das Geld einfiel. Man durfte die halbierten Hunderter nicht bei ihm finden.
    Obwohl ich plötzlich auf dieses Geld gar nicht mehr erpicht war, fing ich an, danach zu suchen. Ich fand es auf den ersten Griff in seiner Manteltasche.
    In diesem Augenblick bremste der Zug. Er bremste so scharf, daß es einen harten Ruck gab. Ich mußte mich am Gepäckträger oben festhalten, um den Toten nicht berühren zu müssen.
    Der schwankte ein wenig, drehte sich langsam um seine eigene Achse, sank im Zeitlupentempo um; er kam mir entgegen und meine Hände griffen nach ihm. Der Mantel verschob sich.
    Da war das kleine, runde Loch in seiner rechten Schläfe, da war ein dünner Streifen Blut.
    Da waren auch die graumelierten Schläfenhaare.
    Aber sonst war da nichts, was mich an den eleganten Mann vom Bahnhof erinnerte.
    Ich blickte in ein Gesicht, das ich noch niemals in meinem Leben gesehen hatte.
    Es wurde plötzlich eiskalt im Abteil. Ich spürte die Schweißtropfen auf meiner Stirn.
    Gewiss, kein Selbstmörder sieht so aus, wie auf seinem Hochzeitsbild, aber dieses Gesicht, in das ich fassungslos starrte, war das Gesicht eines wildfremden Mannes.
    Er stierte mich aus verglasten Augen vorwurfsvoll an. Sein Mund mit den schmalen Lippen war ein wenig verzogen, als grinse er voller Schadenfreude. Und seine Zähne waren echt, dafür nicht so gut wie die meines Auftraggebers.
    Was war da geschehen?
    Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken. Das Einfahrtssignal rasselte hoch, der Zug fuhr wieder an. In wenigen Augenblicken mußte er auf der Station Gauting einlaufen.
    Fort so rasch wie möglich. So rasch und unauffällig, als hätte ich diesen Unbekannten eben selber umgebracht.
    Ich hastete zur Plattform und sprang im gleichen Augenblick ab, als die Räder aufhörten sich zu drehen.
    Mit einem Schwung war ich über den Zaun und verkroch mich draußen in ein dichtes Holundergebüsch, um Luft zu holen.
    Auf dem Bahnsteig hörte ich Stimmen. Normale Stimmen, kein lautes Rufen.
    Zwischen den Rädern sah ich Beine, Männer — und Frauenbeine, die sich zur Sperre hin bewegten. Keine Spur von Aufregung.
    Wer war dieser tote Mann? Warum hatte er sich erschossen? Warum hatte man mir ein Märchen erzählt? Wer war der Mann, der mir die halbierten Hunderter in die Hand gedrückt hatte?
    Ich zog die Pistole aus meiner Tasche. Es war eine Walther PPK, ein älteres Modell, wie es die Offiziere im letzten Krieg oft statt der unhandlichen Parabellum getragen hatten. Sie war abgefeuert worden, ich roch es am Lauf.
    Ich schnupperte auch am Taschentuch. In den zarten Duft von Kölnisch Wasser mischte sich der Geruch von verbranntem Pulver. Meine Finger spürten ein erhaben gesticktes Monogramm.
    Dreitausend Mark. Wofür?
    Einen Augenblick dachte ich daran, der Mann im Zug habe sich vielleicht gar nicht selber erschossen, und man wollte tatsächlich einen Mörder aus mir machen.
    Aber das war Unsinn. Man hatte mir ja jede

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