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Die Blume von Surinam

Die Blume von Surinam

Titel: Die Blume von Surinam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Belago
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eine warme Welle der Liebe. Jean hatte immer zu ihr gehalten, war immer an ihrer Seite gewesen. Henry und Martin war er zudem ein liebevoller Ziehvater.
    Schritte, die sich aus der Eingangshalle näherten, rissen Julie aus ihren Gedanken.
    »Mama, Jean? Seht mal!« Henry kam mit einem riesigen Gebilde auf dem Arm, an dem er schwer trug, durch die Tür des Speisezimmers gewankt. Julie betrachtete ihn zärtlich. Wie stark er doch war. Und wie er sich um die Aufmerksamkeit seiner Eltern mühte. Nicht mehr lange, und er wird seine eigenen Wege gehen, dachte Julie wehmütig. Er stand mit seinen vierzehn Jahren an der Schwelle zum Erwachsenwerden, in jeglicher Hinsicht.Eben noch war er ein ernsthafter Jugendlicher gewesen, jetzt aber wieder das verspielte, unbefangene Kind von einst.
    »Was ist denn das?« Jean erhob sich, um Henry das Gebilde abzunehmen und es auf den Tisch zu stellen.
    Henry baute sich stolz daneben auf. Seine Augen blitzten, als er Julie sichtlich aufgeregt ansah. »Mama, schau, kennst du das?«
    Julie erhob sich und trat an den Tisch. Von hinten sah der Kasten recht unscheinbar aus, und sie hatte keine rechte Idee, was das sein könnte. Neugierig schritt sie um den Tisch. Und dann, von vorne betrachtet, erkannte sie es sofort, auch wenn es schon so lange zurücklag … »Henry, das ist ja wunderschön!« Julie spürte, wie sich in ihrem Hals ein Kloß bildete.
    »Weil du doch aus Rotterdam kommst. Das ist die Facharbeit für den Geschichtsunterricht, ich habe ein Bild in der Zeitung gefunden, danach habe ich … es ist noch nicht ganz fertig, wir müssen es erst in ein paar Wochen abgeben.«
    Julie blickte in das eifrige Gesicht ihres Sohnes und strich ihm liebevoll übers Haar. Dann beugte sie sich vor, um den kleinen Nachbau der Laurenskerk von Rotterdam genauer zu begutachten. Ihr Sohn hatte die Kirche mithilfe von vielen winzigen Holzstückchen und Schindeln verblüffend gut nachempfunden. Ganz tief in ihrem Herzen verspürte Julie einen Stich. Früher, als kleines Kind, war sie einige Male in dieser Kirche gewesen. Mit ihren Eltern. Und soweit sie sich erinnerte, hatte dort später sogar der Trauergottesdienst für ihre Eltern stattgefunden. An dem sie nicht hatte teilnehmen können, sie war schwer verletzt gewesen nach dem schlimmen Kutschunfall, der ihre Eltern das Leben gekostet hatte. Der Gedanke an einen verpassten Abschied quälte sie noch heute manchmal.
    Julie versuchte, die Gedanken abzuschütteln, und tätschelte ihrem Sohn anerkennend die Schulter. »Henry, das ist wirklich wunderschön. Hast du das allein gebaut, oder hat Martin dir geholfen?«
    Henry verzog das Gesicht und senkte den Blick. »Nein, Martin meint, das wäre … Kinderkram … er hat lieber ein Schiff gebaut, so ein schnelles Dampfboot mit Kanonen, und schwarz angemalt hat er es auch. Aber ich glaube, es wird nicht schwimmen.«
    »Muss es das denn?« Jean schmunzelte.
    Henry gab keine Antwort und wandte den Blick ab. »Aber ganz allein hab ich das trotzdem nicht gemacht«, fügte er leise hinzu.
    »Na, wer hat dir denn geholfen? Ich finde, dem zweiten Baumeister gebührt auch Lob«, ermunterte Julie ihn. Seine Ehrlichkeit freute sie.
    Henry schluckte. »Karini hat mir geholfen, sie hat viel kleinere Finger als ich und kann viel besser die Dachschindeln ankleben.«
    »Aha, Karini also.« Jean beugte sich vor und nahm das kleine Kirchendach genauer in Augenschein. Er stupste mit dem Finger vorsichtig an eine der winzigen Dachschindeln, die allerdings unlösbar auf dem Modell saß. »Womit habt ihr das denn festgemacht?«
    »Das …«, Henry machte eine bedeutungsvolle Geste, »ist das Geheimnis der Bauherren.«
    Julie und Jean lachten. Der leicht süßliche Geruch, den das Kirchenmodell verströmte, verriet von selbst, mit welchem Wunderstoff ihm Festigkeit verliehen worden war. Und Karini kannte das Rezept ganz sicher von ihrer Mutter, klebte Kiri doch zu festlichen Anlässen mit diesem Gemisch aus Mehl, Wasser und Zucker die Dekoration auf die Torten.
    »Na, vielleicht werden die Baumeister mit ihrem neuen Wundermörtel ja noch berühmt. Komm, ich helfe dir, es wieder in dein Zimmer zu tragen.« Jean hob die Laurenskerk vom Tisch und trug sie sicher die Treppe hinauf in die erste Etage. Henry folgte ihm und hielt dabei einen kurzen Vortrag über die Geschichte der Kirche. Julie sah den beiden voller Liebe nach. Wie ähnlich sie sich doch waren! Sofort mischten sich Zweifel in ihrWohlgefühl. Vermutlich würde Henry

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