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Die Blume von Surinam

Die Blume von Surinam

Titel: Die Blume von Surinam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Belago
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das irgendwann auch bemerken und Rückschlüsse daraus ziehen. Oder überhaupt Fragen nach dem Tod seines vermeintlichen Vaters stellen. Julie fürchtete diesen Moment, hoffte aber, dass es noch dauern würde. Sie hatte keine Ahnung, wie sie Henry die Geschehnisse vor vierzehn Jahren erklären sollte. Und ob sie überhaupt viele Worte darüber verlieren sollte. Offiziell war Karl Leevken bei einem Sturz am Fluss ums Leben gekommen. Doch trug Julie eine schwere Bürde auf ihrem Herzen.
    Am Nachmittag ließ Jean eine Droschke kommen, und sie machten sich auf den Weg zum alten Fort Zeelandia, wo man die neuen Kontraktarbeiter in einem Kasernengebäude untergebracht hatte. Dort würden sie auch Renzler treffen.
    Es hatte in den letzten Tagen nicht viel geregnet, und die Straßen aus weißem Muschelsand bekamen allmählich ihre helle Farbe zurück. Dies war bei Trockenheit ein hübscher Anblick, so fand Julie, als Kontrast zu den üppigen Palmenalleen, die von zart blühenden Orangenbäumen durchsetzt waren, und zu den Grachten, welche die ganze Stadt durchzogen. In der Regenzeit verwandelten sich aber auch hier die Wege in einen graubraunen Matsch, der zudem noch streng nach Meer und Pferdemist roch, obwohl viele schwarze Straßenkehrer unablässig mit der Reinhaltung der Straßen beschäftigt waren.
    »Ist das Schiff nicht erst heute Morgen angekommen?« fragte Julie, während sie durch die Straßen von Paramaribo fuhren.
    »Ja, sie haben die Leute gleich zum Fort gebracht, dort sollen sie bleiben, bis sie zu den Plantagen überführt werden.«
    »Ins Gefängnis also …«, unkte Julie, denn das Fort wurde seit vier Jahren ausschließlich zur Unterbringung Strafgefangener genutzt.
    »Ach Julie, nun sieh doch alles nicht immer so negativ. Man will diesen Leuten dort vermutlich erst einmal etwas Ruhe gönnen und die Chance, sich zu akklimatisieren.« Er sah sie aufmunternd an.
    Ja, das war schon ein Fortschritt, wenn auch ein kleiner, das musste Julie zugeben. Früher hatten die Händler die Sklaven gleich am Hafen verschachert. Julie zweifelte allerdings daran, dass es den Händlern um das Wohl der Arbeiter ging. Insbesondere Renzler traute sie da nicht. Aber es war typisch für Jean, dass er immer zuerst das Gute im Menschen vermutete.
    »Zudem … unter Umständen ist eine gewisse Quarantänezeit angebracht«, fügte er jetzt hinzu.
    »Meinst du, sie schleppen Krankheiten ein? Als ob das jemanden interessieren würde. Die Schwarzen hat man doch früher auch nicht unter Quarantäne gestellt!«
    Im Gegenteil, man hatte alles, was nicht mehr stehen oder gehen konnte, wie Unrat noch auf See über Bord geworfen, das war ein offenes Geheimnis. Julie hatte selbst eine lange Schiffsreise, wenn auch erster Klasse, hinter sich gebracht, um hierherzukommen, und während der Fahrt die Augen durchaus nicht vor den Zuständen an Bord verschlossen. Das, was sie gesehen hatte, hatte ihr nicht gefallen, und sie zweifelte ernsthaft daran, dass sich diese Sitten geändert hatten, allen Verträgen zum Trotz.
    Sie befuhren die Gravenstraat in Richtung Fluss. Als sie die Residenz des Gouverneurs passierten, hinter der sich der Palmengarten erstreckte, machten die düsteren Gedanken einem tiefen Glücksgefühl Platz. Hier hatte sie sich früher heimlich mit Jean getroffen. Ihre Gedanken wanderten zu Martins Großtante Valerie, der Schwester von Karls erster Frau Felice, die ihnen diese Treffen im Park ermöglicht hatte. Julie war Valerie dafür noch heute zutiefst dankbar, umso mehr erschütterte sie deren Schicksal. Valerie hatte nach dem Tod von Martins Mutter Martina und dem Ableben ihrer eigenen Mutter große Angst vor dem Alleinleben gehabt. Bevor Julie jedoch ihr Versprechen einlösen und sie auf die Plantage holen konnte, hatte Valerie plötzlich ihr Herzan einen Schiffskapitän verloren. Julie hatte sich sehr über Valeries spätes Glück gefreut. Die kurze, intensive und tiefe Liebe des Paares aber hatte ein jähes Ende gefunden; der Mann hatte von einer seiner Seefahrten eine ansteckende Krankheit mitgebracht. Die Schamesröte, mit welcher der Arzt Julie damals an Valeries Krankenbett zu erklären versucht hatte, woran die Frau litt, sagte alles über den Umstand der Erkrankung. Julie hatte ihr Bestes gegeben, Valerie und die Liebe ihres Lebens zu versorgen, doch beide starben kurz nacheinander einen schnellen und gnädigen Tod. Valeries Geist traf Julie in der Stadt immer wieder, und sie gedachte ihrer stets voller

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