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Die Blume von Surinam

Die Blume von Surinam

Titel: Die Blume von Surinam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Belago
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Zuneigung.
    Julie und Jean kamen an beschaulich wirkenden Offiziershäusern vorbei, die im Schatten der Bäume liegend bei Julie immer die Illusion einer kleinen niederländischen Stadt hervorriefen. Das friedliche Bild änderte sich, als die wuchtige Mauer des Forts in Sicht kam. Die Befestigungsanlage war schon vor zweihundert Jahren gebaut worden und hatte sich im Laufe der Zeit zu einer kleinen, aber bullig wirkenden Trutzburg entwickelt. Der Kutscher steuerte den viereckigen Wachturm an, unter dem sich der Torbogen der Einfahrt befand. Dahinter drängten sich viele Gebäude um einen zentralen Innenhof. Julie überlegte noch, wo man wohl die vierhundert Neuankömmlinge untergebracht hatte, als aus einem der Gebäude schon Renzler auf sie zukam. Jean half Julie aus dem Wagen, während der rotwangige Renzler eifrig den Hut zog.
    »Mijnheer Riard, Mevrouw … es freut mich außerordentlich, dass Sie es einrichten konnten …« Renzler schüttelte Jean übertrieben lange die Hand, bevor er Julie mit einem Handkuss begrüßte. Dass er diesen nicht nur andeutete, sondern seine feuchten Lippen auf ihren handschuhlosen Handrücken drückte, ließ Julie kurz vor Ekel erschaudern. Dann zwang sie sich zu einer freundlichen Miene, schließlich hatte dieser Mann vielleicht neue Arbeitskräfte für sie.
    »Kommen Sie, kommen Sie …« Renzler schob Julie und Jean zwischen den Gebäuden auf eine große hölzerne Lagerhalle zu. »Sie sind heute Morgen alle wohlbehalten ausgeschifft worden. Es gab während der Fahrt nur geringe Verluste, die Engländer haben sich beim Transport sehr bemüht. Es sind viele junge, kräftige Männer dabei.«
    Mit diesen Worten öffnete Renzler das Tor zur Lagerhalle. Julie musste sofort husten. Die Luft, die ihr entgegenschlug, war ausgesprochen schlecht, es roch nach Schweiß, Kot und Krankheit. In dem lang gestreckten Raum war es schummerig, durch die schmalen Fenster fiel nur wenig Licht. Julies Augen brauchten eine Weile, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen. Was sie jedoch sah, ließ ihr den Atem stocken.
    Vor ihnen erstreckten sich lange Reihen von Feldbetten und Hängematten, in denen teils mehrere Personen lagen. Für so viele Menschen auf engstem Raum war es beunruhigend still. Sie sah, dass die meisten erschöpft auf ihren Lagern ruhten. Hier und da drangen leise, klagende Laute an ihr Ohr.
    »Sie sind noch etwas erschöpft von der Reise«, versuchte Renzler die Situation zu erklären, hielt sich dabei aber selbst pikiert ein Taschentuch vor die Nase.
    Julie warf Jean einen Blick zu und sah, dass sich sein eben noch fröhlicher Gesichtsausdruck in Betroffenheit verwandelt hatte. Sie wusste, wie sehr er es verabscheute, wenn Menschen unverschuldet leiden mussten. Und das hier lag weit über der Grenze des Erträglichen! Entschlossen betrat Julie die Halle und schritt durch die Gänge zwischen den Lagern. Dunkle Augen aus eingefallenen, müden Gesichtern starrten sie an. Ihre Abscheu Renzler gegenüber drohte in Wut umzuschlagen. Gerade als sie ihn anfahren wollte, sprang ein junger Mann auf, dessen Lager sie passierte. Er begann, laut auf Julie einzureden und mit den Armen zu gestikulieren. Immer und immer wieder zeigte er auf das Feldbett, auf dem eine junge Frau lag.
    »Zurück! Zurück, sage ich!« Renzler trat mit einer Reitpeitsche fuchtelnd auf ihn zu. Der junge Inder zuckte zurück, sprach aber weiterhin, jetzt mit gedämpft flehender Stimme, zu Julie.
    Julie verstand die Sprache des Mannes nicht, die Verzweiflung in seiner Stimme aber war unmissverständlich. Ihr war sofort klar, was er ihr sagen wollte. Die junge Frau auf dem Lager hatte die Augen geschlossen, ihr aschfahles Gesicht glänzte von Fieber und ihr Atem ging flach und schnell.
    Jean kam ihr zuvor. »Renzler!«, herrschte er den übereifrigen Mann mit scharfem Ton an. »Viele dieser Leute sind krank! Hat man schon nach einem Arzt geschickt?«
    »Ähm … Arzt? Na ja, so schlimm sieht es doch nun auch nicht aus … schauen wir doch mal dahinten …«
    Julie traute ihren Ohren nicht. Renzler versuchte doch tatsächlich, sie vom Lager der kranken Frau wegzuführen! Sie baute sich vor ihm auf und fixierte ihn mit dem Blick. »Sie lassen jetzt sofort einen Arzt rufen! Sehen Sie nicht, dass einige der Menschen hier dringend Hilfe brauchen?«, stieß sie hervor. Julie sah, dass Renzler und auch einige der Arbeiter kurz zusammenzuckten, die Wut war ihrer Stimme deutlich anzuhören. Er schien kurz zu überlegen, dann

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