Die Blume von Surinam
»Und was bekomme ich nun zurück? Eine Schwiegertochter und ein zukünftiges Enkelkind.«
»Ja, Misi.« Karini fühlte sich unsicher und wusste nicht, was sie sagen sollte. Das Ausmaß der Geschichte wirkte jetzt, da sie erzählt war, ganz anders als noch vor wenigen Wochen in den fernen Niederlanden oder gar auf hoher See.
Die Misi blickte ihr tief in die Augen. »Das Misi kannst du jetzt weglassen, Karini. Ich werde heute noch eine Nachricht nach Rozenburg schicken lassen und deinen Eltern Bescheid geben. Deine Mutter wartet sicher schon voller Sorge.«
»Danke, Mi…« Karini stockte. Sie hatte ihr Leben lang Misi zu dieser Frau gesagt, wie sollte sie ihre Schwiegermutter denn nun bloß anreden?
»Juliette, sag einfach Juliette.«
Kapitel 30
U nd dann war er Ende Juni plötzlich da, der Tag der Gerichtsverhandlung. Alle, die der Posthalter vernommen hatte, sowie Karini, waren vom Gericht geladen worden und befanden sich im Saal. Der Gang war für alle schwer, die meisten von ihnen hatten sich nie zuvor in einer solchen Situation befunden. Julie sah mit Erleichterung, dass Henry keine Fesseln mehr trug, als er aus einer Seitentür in den Verhandlungssaal geführt wurde. Er machte sogar einen sehr ruhigen Eindruck, wenn man davon absah, dass er nicht einmal zu ihr hinblickte. Er hielt den Kopf gesenkt, wie in Gedanken versunken.
Der ehrenwerte Richter Flavius van Parkensteen ging behäbig zu seinem Platz, rückte seine weiß gelockte Perücke zurecht und ließ seinen Blick im Saal umherwandern. Julies Nervosität stieg.
»Wie ich hörte«, eröffnete er die Sitzung, »sind nun alle Personen, die zu dem bedauerlichen Tod von Pieter Brick etwas zu sagen haben, anwesend.« Er warf Henry einen Blick zu, den Julie nicht zu deuten vermochte.
Jetzt räusperte sich der Gerichtsdiener und erhob sich langsam von seinem Stuhl rechts neben Richter van Parkensteen. Bedächtig faltete er ein Blatt Papier auseinander und begann vorzulesen: »Anwesend sind heute die nachfolgend namentlich genannten Personen: Juliette Riard, verwitwete Leevken, geborene Vandenberg; Jean Riard, der ihr angetraute Ehemann; Henry Leevken, Sohn von Juliette Riard aus erster Ehe; Martin Brick, Sohn des Verstorbenen und Enkelsohn von Juliette Riard aus erster Ehe; Thijs Marwijk, Besitzer der Plantage Watervreede, demTatort; des Weiteren eine ehemalige Sklavin der Plantage Rozenburg namens Aniga; die Kontraktarbeiter namens Sarina, Inika und Bogo.« Er hielt inne und blickte kurz auf, bevor er fortfuhr: »Die Ehefrau des Beklagten, Karini Leevken, geborene Rozenberg, sowie als weitere Zeugen Wim Vandenberg und Erika Bergmann.«
Als der Gerichtsdiener das Blatt schließlich beiseitelegte, schauten alle verlegen in die Runde. Besonders die alte Aniga kauerte ganz hinten im Saal, sie fühlte sich sichtlich unwohl. Julie hatte ihr mehrfach versichert, dass sie nichts zu befürchten habe, Aniga aber schien sich nicht von den Erinnerungen an den jahrelangen Gebrauch der Peitsche, insbesondere im Zusammenhang mit offiziellen Stellen, befreien zu können.
Der Gerichtsdiener räusperte sich, als wolle er sich die Aufmerksamkeit sichern. Dann nahm er ein weiteres Blatt Papier in die Hand und holte tief Luft: »Die bisherigen Ermittlungsergebnisse haben Folgendes ergeben: Ich beginne mit den angegebenen Aufenthaltsorten in der Tatnacht. Jean und Juliette Riard – in ihrem Schlafgemach; Martin Brick – Schlafgemach; Thijs Marwijk – Schlafgemach; Henry Leevken – auf dem Weg zur Plantage Rozenburg.« Juliette bemerkte beunruhigt, dass der Richter Henry einen abschätzenden Blick zuwarf. Sie knetete nervös ihr Taschentuch. Das hier gefiel ihr überhaupt nicht.
Der Gerichtsdiener fuhr im gleichen, fast schon leiernden Tonfall fort: »Kontraktarbeiter Sarina, Inika, Bogo – in ihrer Kammer; nicht auf der Plantage anwesend: Hausmädchen Karini Leevken, ehemals Rozenberg, deren Aufenthaltsort: Plantage Rozenburg. Anzumerken: Thijs Marwijk sowie die Kontraktarbeiterin Sarina waren zur Tatzeit schwer erkrankt und bettlägerig.«
Der Richter nickte dem Gerichtsdiener kurz zu, der sich daraufhin setzte. Julies Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Der Richter räusperte sich und begann zu sprechen: »Es haben sich durch die Befragung der Zeugen folgende Erkenntnisse ergeben: Thijs Marwijk und die Kontraktarbeiterin Sarina scheiden als Täter aus, sie waren nicht in der Lage, das Bett zu verlassen, obwohl sie durchaus ein Motiv hatten, Pieter Brick zu
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