Die Blume von Surinam
Momente, in denen Karini sich vor Masra Martin fürchtete.
Am nächsten Morgen bestieg Karini, zusammen mit ihrem Vater Dany und drei weiteren Männern mit einem kleinen Bündel Gepäck das Boot, das flussaufwärts nach Inika suchen sollte. Auch Masra Henry war zur Anlegestelle gekommen. Karini fand die Besorgnis, mit der er seit einigen Minuten auf sie einredete, fast schon amüsant.
»Bist du sicher, dass du das schaffst?«, fragte er nun zum wiederholten Male.
»Masra Henry – ich kenn mich dort draußen besser aus als ihr alle zusammen. Und außerdem ist doch mein Vater bei mir. Mir passiert schon nichts! Ich will nur Inika finden und sie sicher wieder zurück nach Rozenburg bringen. Die Arme, sie kann doch nicht mal eine Schlange von einer Liane unterscheiden.« Eigentlich war Karini nicht zum Scherzen zumute, aber sie wollte sich Masra Henry gegenüber auch nicht anmerken lassen, dass sie durchaus nervös war. Zumal die Männer des Suchtrupps sichnicht unbedingt um das indische Mädchen scherten, sondern die Tage eher als willkommene Freizeit ansahen. Ihr war nicht verborgen geblieben, dass niemand im Arbeiterdorf Inika zutraute, mit dem Boot der Missionare geflohen zu sein, geschweige denn länger als zwei Tage außerhalb der Plantage überlebt zu haben.
Als die Männer das Boot nun vom Anleger in die Strömung des Flusses lenkten, winkte Karini Masra Henry noch einmal zu.
Jetzt lag es an ihr, Inika zu finden.
Kapitel 21
J ulie war besorgt. Als Jean ihr berichtete, dass Karini sich nun mit den Männern auf den Weg gemacht hatte, bedachte sie ihn mit einem langen Blick. Sie hatten die Entscheidung am vorangegangenen Abend noch lange diskutiert, und es war Jean nicht gelungen, ihre Zweifel auszuräumen.
»Ich weiß nicht, ob es gut ist, dass wir Karini haben fahren lassen. Sie ist doch selbst noch so jung.«
Jean warf ihr einen liebevollen Blick zu. »Ihr Vater ist dabei, und sie kennt sich da draußen besser aus als jeder Weiße und so mancher Neger. Sie hat durch ihren Vater und ihren Großvater eine Menge Erfahrung. Karini ist stark, sie wird schon zurechtkommen. Ich vertraue den beiden. Dany wird für eine sichere Reise sorgen, und Inika wird Karini vertrauen, wenn sie sie finden.«
Julie nickte zögerlich, trotzdem blieb das ungute Gefühl. Zärtlich legte sie eine Hand auf seine. Als sie seinem Blick begegnete, sah sie darin, aller Beteuerungen zum Trotz, plötzlich Sorge.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie vorsichtig.
Jean seufzte und setzte sich in den Sessel neben Julies Bett. Einen Moment lang hatte Julie das Gefühl, dass er sie und Helena, die satt und friedlich in ihrem Arm lag, gar nicht wahrnahm.
Dann schien er sich zu besinnen. »Julie, ich muss dir noch etwas sagen«, begann er zögerlich. »Der Brief kam schon vor einigen Wochen, aber irgendwie …«
»Was für ein Brief?« Julie war jetzt hellwach. Ein Brief von der Bank, bei der sie sich Geld für die Plantage geliehen hatten? Irgendetwas von der Kolonialverwaltung?
»Aus den Niederlanden«, fügte Jean hinzu.
Julie gefror das Blut in den Adern. »Aus den Niederlanden?«, fragte sie stockend. Das konnte doch nur eines bedeuten … Kam Pieter wieder? Panik wallte in ihr auf, sie holte Luft und wollte Jean schon erläutern, was sie bei Pieters Rückkehr alles zu erwarten hätten, doch er kam ihr zuvor. »Es ist so … dein Onkel … er ist gestorben.«
»Mein Onkel?« Das brachte Julie vollkommen aus dem Konzept. Fast hätte sie vor Erleichterung laut aufgelacht. Es war natürlich in gewisser Hinsicht traurig, aber Jean musste doch wissen, dass sie ihrem Onkel überhaupt nicht nahegestanden und auch keinen Kontakt zu ihm gepflegt hatte. Das war nun wirklich kein Grund, so betrübt dreinzublicken, wie Jean es jetzt tat. »Das ist sicherlich tragisch, aber ich habe seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm, das weißt du doch! Nun mach nicht so ein Gesicht!«
»Es ist aber so, dass … der Brief ist von einem Notar. Es geht um das Erbe.«
Natürlich. Das Erbe. Julie grollte. Immer, wenn ihr Onkel auftauchte, ging es um Geld. Jetzt sogar nach seinem Tod. Karl hatte sie damals nur wegen ihres durchaus beträchtlichen Erbes geheiratet, und auch ihrem Onkel war es bei dieser arrangierten Heirat nicht um ihr Wohl, sondern um seinen persönlichen Vorteil gegangen. Als ihr Ehemann hatte Karl Julies Erbe treuhänderisch übernommen. Julie war damals noch keine einundzwanzig Jahre alt gewesen und hatte nicht selbst
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