Die Blume von Surinam
abwarten müssen, wie sich die Dinge entwickelten. Sie hatte sowieso keine Wahl, in die Stadt würde sie vorerst nicht zurückkommen.
»Karini?« Sie hörte die Stimme ihres Vaters ein Stück entfernt. Es war bereits dunkel und der Mond noch nicht aufgegangen. Im Schein des Lagerfeuers sah sie ihn auf ihren Lagerplatz zukommen.
»Ich muss mit dir sprechen.« Der Ernst in seiner Stimme war unverkennbar und Karinis Gedanken an Julius und Masra Martin waren wie fortgeblasen.
Dany hockte sich in den Sand neben seine Tochter. »Ich wollte das eigentlich auf Rozenburg mit dir besprechen, aber dort war es in den letzten Tagen einfach zu unruhig. Hör zu, mir fällt das nicht leicht, aber … ich werde die Plantage verlassen. Mein Vater, dein Großvater … ist krank und kann das Dorf der Maroons nicht allein führen. Ich werde zu ihm gehen, um ihm zu helfen.«
Karini war geschockt. Sie wusste, dass er seinen Vater sehr liebte und ehrte, aber dass er Rozenburg verließ? Wie sollte dasgehen? »Aber du kannst doch nicht von Rozenburg fort? Was ist mit mir und Mutter? Der Masra wird das nicht erlauben!«
»Doch, es ist schon alles besprochen, der Masra weiß davon und hat zugestimmt.« Ihr Vater hielt kurz inne, dann fuhr er unvermindert ernst fort. »Was ich dir jetzt sage, ist ganz wichtig. Du musst dich auf der Plantage immer gut benehmen und immer gut zu Misi Juliette sein. Ich … wir haben ihr sehr viel zu verdanken. Eines Tages wirst du verstehen, was ich meine. Aber du musst unbedingt auf der Plantage bleiben. Das ist auch für deine Zukunft sehr wichtig.«
Karini wusste nicht, wovon er sprach, spürte aber die Dringlichkeit hinter seinen Worten. Selten hatte sie ihn so ernst gesehen. Sie nickte.
»Du bist ein großes Mädchen. Und du kannst mich mit Kiri jederzeit besuchen kommen. Das hat der Masra zugesagt. Ich bin stolz auf dich.« Mit diesen Worten nahm er sie in den Arm und sie erwiderte seine Umarmung. Lange saßen sie so da und genossen die Nähe des anderen.
Karini schwirrten in dieser Nacht viele Gedanken durch den Kopf. Dass ihr Vater gehen würde, tat ihr weh. Andererseits hatten sie sich in den letzten drei Jahren kaum gesehen, und sie wusste, dass nichts in der Welt ihn von seiner Entscheidung abhalten würde. Irgendwann fiel sie in einen unruhigen Schlaf. Sie träumte von ihrem Vater, von Julius, Masra Henry und Masra Martin und immer wieder von Inika, die voller Angst durch den Regenwald lief und drohte, verloren zu gehen.
Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Die ersten Sonnenstrahlen waren noch nicht über dem Blätterdach emporgestiegen, nur ein rötlicher Saum am Himmel kündigte den baldigen Aufgang der Sonne an. Dies weckte aber bereits die ersten Waldbewohner, wie vereinzelte Vogelrufe bewiesen, und wenn es die Sonne nicht tat, waren es die Brüllaffen, die letztendlich jedemLebewesen den Morgen verkündeten. Karini packte ihre Schlafdecke und den Gazeüberwurf in das Boot und wartete, dass die Männer es in das Wasser schoben.
Der Tag auf dem Fluss war langweilig. Das Ufer zeigte nur undurchdringliches Grün, zuweilen von Plantagenhäusern durchbrochen. Viele der Pflanzungen waren verlassen, und Karini versuchte sich vorzustellen, wie es wohl gewesen war, als noch unzählige weiße Kolonisten das Hinterland bevölkerten und unzählige Sklaven auf den Pflanzungen lebten. Heute konzentrierten sich die Ansiedlungen auf die nähere Umgebung von Paramaribo oder die Küstenstreifen. Lange Strecken des Surinamflusses waren verwaist, und der Fluss diente mehr oder weniger nur noch als verlässlicher Transportweg von den Goldgebieten in den Bergen sowie den Dörfern der Schwarzen und Indianer in die Stadt. Zeltboote, wie sie die blanken nutzten, sah man kaum noch hier oben.
Immer wieder wanderten Karinis Gedanken zu Inika. Die Träume der vergangenen Nacht hatten Karini Angst gemacht. Sie hatte Inikas Not förmlich spüren können. Ihr Verschwinden musste etwas mit der Hochzeit und mit Baramadir zu tun haben. Hätte sie selbst doch bloß gleich, nachdem sie das Gespräch zwischen ihrer und Inikas Mutter belauscht hatte, etwas gesagt, dann wäre es vielleicht gar nicht zu der Hochzeit gekommen! Aber jetzt? Jetzt war Inikas Vater tot, ihre Mutter krank vor Sorge und möglicherweise befand sich Baramadir doch noch irgendwo. Was, wenn er Inika eher fand als sie?
Nach zwei weiteren Nächten auf einsamen Sandbänken und unendlich langen Stunden an den Tagen näherten sie sich ihrem
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