Die Bluterbin (German Edition)
Seite und stand auf. Aus schmal zusammengezogenen Augen beobachtete er, wie Constance ihr Hemd wieder anzog.
Sie wich zurück, als er unvermittelt auf sie zutrat.
„Was wollt Ihr denn noch?“, fragte sie unfreundlich. Mit einer blitzschnellen Bewegung griff er in ihre Haare und riss ihr den Kopf nach hinten.
„Die Fragen stelle ich“, erwiderte er schneidend.
Constance erschrak vor der Kälte in seiner Stimme. Ihre Sinne waren angespannt, und instinktiv spürte sie die Gefahr, die von diesem Mann ausging.
Entgegen dem, was er vorgab zu sein, war sie sich sicher, keinen Diener Gottes vor sich zu haben. Ein ängstlicher Ausdruck trat in ihre Augen.
Radulfus sah sie drohend an.
„Was wolltest du von dem Mädchen in der Kathedrale?“, fragte er und beobachtete sie dabei ganz genau.
Mit dieser Frage hatte Constance nicht gerechnet. Der Ausdruck in ihren Augen veränderte sich. Überrascht sah sie Radulfus an. Nun war allerhöchste Vorsicht geboten. „Sie ist eine Heilige“, stieß sie leise hervor.
„Rede weiter“, forderte Radulfus sie auf und zog ihren Kopf nochmals etwas weiter nach hinten. „Warum ist sie eine Heilige?“
Constance schrie vor Schmerz auf.
„Ich hatte schlimme Leibschmerzen und traf sie auf dem Weg zur Kathedrale, wo ich den heiligen Erasmus anflehen wollte, mir zu helfen. Sie blieb stehen und sah mich mit so einem merkwürdigen Blick aus ihren dunklen Augen an. Da habe ich gespürt, wie meine Schmerzen nachließen“, berichtete sie stammelnd.
Radulfus lockerte seinen Griff, um sie besser verstehen zu können, und nickte ihr ungeduldig zu.
„Plötzlich waren meine Schmerzen vollständig verschwunden, aber die Kleine sank zu Boden, wo sie von schrecklichen Krämpfen geschüttelt liegen blieb. Ein junger Mann in teuren Kleidern kam herbeigeeilt und hat sie fortgetragen.“
Immer wieder hatte sie über den seltsamen Vorfall nachgedacht. War es tatsächlich möglich, dass Gott sich auch um Huren wie sie kümmerte? Immerhin hatte Er ihr dieses Mädchen geschickt, das aussah wie ein Engel. Sie bekam Angst um Marie. Auf keinen Fall durfte ihr etwas zustoßen, das Mädchen hatte versprochen, für sie zu beten. Wie ein strahlender Stern war sie in ihr Leben getreten und hatte es für einen Moment mit lichter Wärme erfüllt. Die Hoffnung, dass es noch etwas anderes gab als brutale, geile Männer und verdreckte Hinterhöfe, hatte sie aus ihrer Lethargie gerissen und ihr neuen Mut gegeben.
Was konnte dieser düstere Mönch mit den kalten Augen nur von ihr wollen? Es konnte jedenfalls nichts Gutes sein, das stand fest. Sie musste Marie vor ihm schützen. Alle Angst fiel von ihr ab. Wütend funkelte sie Radulfus an: „Was wollt Ihr von der Kleinen? Ihr könnt Frauen wie mich haben, um Eure Bedürfnisse zu befriedigen.“
Radulfus zögerte nicht lange. Er löste seine Hände von ihr, doch bevor Constance sich erleichtert aufrichten konnte, packte er mit einer blitzschnellen Bewegung erneut zu.
Ein grässliches Knacken war alles, was zu hören war, dann sank Constance mit gebrochenem Genick zu Boden. In ihren weit geöffneten Augen stand noch immer das Erstaunen, das sie ergriffen hatte, als der Tod sie ereilt hatte.
Radulfus zog sich die Kapuze wieder weit in sein Gesicht hinein und verließ die kleine Kammer. Rasch lief er die schmale Stiege hinunter und verschwand durch den Ausgang über dem Hof.
Er war sich sicher, dass ihn niemand bemerkt hatte. Marie ahnte indessen von alldem nichts. Ihre Gebete zur Heiligen Mutter trösteten sie und gaben ihr neuen Mut. Bevor sie die Kathedrale verließ, betrachtete sie die wunderschön bemalte Holzfigur mit ihren gleichbleibend lächelnden Augen jedoch nochmals eingehend. Neugierige Blicke folgten ihr auf dem Weg zum Ausgang. Wo immer sie vorbeikam, schien es ein klein wenig heller zu werden.
Zu Hause angekommen begab sie sich in die Stube und griff nach ihrer Stickarbeit. Sie war dort ganz allein. Ihre Mutter war mit Agnes und Martha zum Markt gegangen, um einige Besorgungen zu machen, und ihr Vater saß mit Henry in seinem Kontor. Die Stimmen der beiden vermischten sich mit den Geräuschen aus der Küche, wo Elsa dabei war, das Abendessen vorzubereiten.
Während ihre Finger geschickt die Nadel führten, wanderten ihre Gedanken zu Robert und sie begann in aller Ruhe nachzudenken.
„Ich bin sicher, dass das plötzliche Interesse des Bischofs an Euch etwas mit dem König zu tun hat“, hatte er gesagt und ihr dabei einen so sorgenvollen
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