Die Bluterbin (German Edition)
hat mir einen rubinbesetzten goldenen Ring für Marie gegeben und mir befohlen, ihn ihm sofort zuzusenden, sollte Marie jemals in großer Gefahr sein und seine Hilfe benötigen.“
Ratlos sah er Bernard an, der nicht verstand, wovon sein Freund überhaupt sprach.
„Jedenfalls ist Radulfus durch diesen Vorfall auf Marie aufmerksam geworden, und wir wissen beide nicht, was er von ihr will. Er verfolgt sie regelrecht und bedrängt sie. Ich mache mir große Sorgen, Marie ist so zart und verletzlich, und ich habe versprochen, sie zu beschützen.“
Bernard hatte ihm aufmerksam zugehört, seine Neugier war erwacht.
Aufmunternd zwinkerte er dem Freund zu.
„Jetzt erzählt mir alles noch einmal der Reihe nach, damit ich endlich verstehen kann, worum es genau geht.“
Ein feiner Nieselregen setzte ein, doch die beiden Freunde waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie ihn weder jetzt noch später bemerkten, als er stärker zu fallen begann.
Bernard wusste, dass Robert sich nicht um das Gerede der Leute kümmerte. Außerdem war er viel zu sehr mit seinem Studium beschäftigt, um diesen Dingen Beachtung zu schenken. Aus diesem Grund konnte er auch nichts von den Gerüchten ahnen, die sich um den Bischof rankten: Immer wieder waren blutjunge Mädchen verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Unter vorgehaltener Hand wurde jedoch gemunkelt, dass man sie zuletzt allesamt jeweils im Bischofspalast gesehen hatte.
Roberts Sorge um das Mädchen war demzufolge mehr als berechtigt, sollten die Gerüchte auch nur ein Fünkchen Wahrheit enthalten, und daran zweifelte Bernard nicht einen Moment.
„Wenn Euch die Kleine wirklich so wichtig ist, solltet Ihr sie aus der Stadt schaffen“, sagte er, bereute seine Worte im gleichen Moment aber auch schon wieder, denn er hatte seinen Freund nicht noch mehr beunruhigen wollen. Doch dafür war es jetzt zu spät.
Robert sah ihn erschrocken an.
„Glaubt Ihr, dass Radulfus so gefährlich ist?“, wollte er wissen.
„Es gibt Leute, die behaupten, dass er dem Schoß der Hölle selbst entsprungen ist“, erwiderte Bernard ehrlich und beruhigte sich wieder etwas. Es hatte keinen Sinn, Robert etwas vorzumachen, wenn er ihm wirklich helfen wollte.
„Wie stellt Ihr Euch das vor? Marie ist verlobt und wird bald heiraten, und wohin sollte ich sie außerdem bringen? Zumal ich nicht einmal weiß, ob sie überhaupt fortwill.“ Die verschiedensten Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf. Er atmete einige Male tief durch, um ruhiger zu werden und besser nachdenken zu können.
„Dann sprecht mit ihren Eltern, vielleicht haben diese ja genügend Einfluss, um Marie zu schützen? Oder mit Eurem Vater? Er pflegt doch die besten Beziehungen, bis hin zum Königshaus“, schlug Bernard vor.
Auf Roberts hoher Stirn kräuselten sich Sorgenfalten.
„Das wäre sinnlos. Sie würden es nicht verstehen.“
Während sie miteinander sprachen, waren sie unentwegt weitergelaufen. Längst hatten sie die Judengasse wieder verlassen, und die Gassen wurden schmaler und dunkler, je weiter sie kamen. Gleich würden sie das Viertel der Gerber und Abdecker erreichen, das kein Bürger jemals ohne zwingenden Grund betrat.
Auf der linken Seite lag etwas zurückgesetzt eine heruntergekommene Schenke, der ein neuer Anstrich keinesfalls geschadet hätte. Die Inschrift auf dem schief hängenden Schild, das unter dem mit Stroh gedeckten Dach baumelte, war bereits so verwittert, dass man sie kaum noch lesen konnte.
Die beiden Fensterläden neben der Türe waren geschlossen. Obwohl es an diesem Haus nichts gab, das einen zum Bleiben einlud, war Bernard davor stehen geblieben.
„Lasst uns dort hineingehen und etwas trinken, meine Kehle ist schon ganz ausgedörrt von dem vielen Reden.“
Seine letzten Worte gingen in lautem Hufgeklapper unter. Der Schinderwagen bahnte sich mühsam seinen Weg durch den Schlamm und hielt direkt vor der Schenke an. Er schien bereits erwartet worden zu sein, denn er war noch nicht ganz zum Stehen gekommen, als schon zwei Männer aus der Schenke kamen, die eine Frauenleiche an Füßen und Händen gepackt hielten und zum Wagen trugen.
Mit unbewegten Gesichtern traten sie von hinten an den Karren heran und beförderten ihre Last mit einem Schwung auf die mit dunklen Flecken übersäte Ladefläche. Dabei verrutschte das Tuch, das um die Leiche herumgewickelt worden war, und gab den Blick auf ihr Gesicht frei. Es handelte sich zweifelsfrei um eine Hure. Sie war noch jung, und Bernard hob bedauernd
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