Die Blutgraefin
dass es die richtigen sind. Warum solltet Ihr uns trauen?« Oder wir
Euch?
»Wir wissen, wer den alten Niklas und seine Söhne umgebracht
hat«, ergriff Ulric wieder das Wort. Er hob die Schultern. »Und wir
wissen auch, dass Ihr nicht aus dieser Gegend seid.«
»Das ist noch kein Grund, uns zu trauen«, widersprach Andrej.
»Von welcher Hexe hast du gesprochen?«, mischte sich Abu Dun
ein.
Stanik starrte ihn auf eine Weise an, die zu verstehen gab, dass es
unter seiner Würde war, mit einem Heiden zu reden. Dann aber hob
er die Schultern und knurrte: »Von der verdammten Blutgräfin.«
Abu Dun tauschte einen überraschten Blick mit Andrej. »Blutgräfin?«
»Die Leute nennen sie halt so«, sagte Ulric rasch, in fast erschrockenem Ton und mit einem mahnenden Blick in Richtung seines
Sohnes, den dieser allerdings nur mit einem trotzigen Blick erwiderte. Er schüttelte müde den Kopf. »Ich halte nichts davon. So etwas ist
abergläubisches Geschwätz, das ihr mehr Macht verleiht, als ihr zusteht.«
Andrej war verblüfft. Eine so scharfsinnige Bemerkung hätte er von
einem Mann wie ihm nicht erwartet. Auf der anderen Seite war ihm
schon längst klar geworden, dass Ulric nicht der ungebildete einfache
Bauer war, der zu sein er vorgab. Er schwieg und wartete darauf,
dass Ulric von sich aus weitersprach.
»Wir hatten ein gutes Leben, bevor sie gekommen ist«, fuhr Ulric
nach einer Weile unbehaglichen Schweigens fort. »Wir sind einfache
Menschen, Andrej, aber ehrlich und fleißig. Gott meinte es gut mit
uns. Unsere Kinder sind gesund, wir mussten nur selten hungern, und
selbst der Krieg, der das Land verwüstet, hat uns all die Jahre über
verschont.«
»Und nun hat Gott euch verlassen?«, vermutete Abu Dun. In Ulrics
Augen blitzte kurz unverhohlener Hass auf, als er des leicht spöttischen Tons in der Stimme des Nubiers gewahr wurde. Noch bemerkenswerter war Staniks Reaktion: Er hatte seine Züge unter Kontrolle, aber seine Hand zuckte in seiner Wut mit einer unbewussten Bewegung zum Gürtel, was Andrejs Erfahrung nach nur einen einzigen
Schluss zuließ: Er trug dort normalerweise eine Waffe. Einfache
Bauern?
»Nein«, sagte Ulric gepresst. »Aber der Teufel hat seine Botschafterin zu uns geschickt, um uns auf die Probe zu stellen.«
Abu Dun setzte zu einer weiteren spöttischen Bemerkung an, doch
Andrej brachte ihn mit einer raschen Geste zum Verstummen. »Ulric«, sagte er sanft. »Ich halte Euch für einen klugen Mann. Klüger
jedenfalls, als Ihr uns vormacht. Also hört auf, den Dummkopf zu
spielen. Ihr wisst so gut wie ich, dass es keinen Teufel mit Hörnern
und Pferdefuß gibt, der nachts durch die Schatten schleicht, um die
Seelen der Menschen zu fressen.«
»Und gäbe es ihn, dann wären wir wohl die Falschen, um ihn zu
bekämpfen«, fügte Abu Dun mit einem Grinsen hinzu, das seine
weißen Zähne wie ein Raubtiergebiss in seinem ebenholzfarbenen
Gesicht aufblitzen ließ. Ulric wollte auffahren, aber Andrej wiederholte seine besänftigende Geste und forderte ihn mit schärferer
Stimme auf: »Warum erzählt Ihr uns nicht einfach, was geschehen
ist?«
»Alles war so, wie ich es gesagt habe«, beharrte Ulric. Er warf einen wütenden Blick in Abu Duns Richtung, der dessen Grinsen aber
nur noch breiter werden ließ. »Bis zum letzten Frühjahr. Bis sie kam.«
»Die Hexe«, vermutete Abu Dun.
Ulric nickte. »Ja«, sagte er. Wieder irrte sein Blick beinahe ohne
sein Zutun zu Stanik hin und kehrte dann fast schuldbewusst zu Andrejs Gesicht zurück. Widerwillig hob er die Schultern.
Abu Dun tauschte einen raschen, verschwörerischen Blick mit Andrej, den dieser jedoch mit einem angedeuteten Kopfschütteln beantwortete, was den Nubier jedoch nicht davon zurückhielt, sich erneut
an Ulric zu wenden und ihn mit einer herrischen Handbewegung aufzufordern, mit seiner Geschichte fortzufahren: »Erzähl mir von dieser Hexe. Wer ist sie? Wo kommt sie her, und warum nennt ihr sie
so?«
»Niemand weiß, wer sie ist oder wo sie herkommt«, antwortete
Stanik anstelle seines Vaters. Seine Stimme war nahezu ausdruckslos, doch weder Andrej noch Abu Dun entging die unbewusste Bewegung, mit der sich seine Finger um den Griff eines imaginären
Schwerts an seiner Seite schlossen. »Aber sie ist eine Hexe! Sie tötet
Menschen.«
»Hast du das gesehen?«, fragte Andrej.
»Ich muss nichts sehen, um zu wissen, was ich weiß«, antwortete
Stanik. Abu Dun setzte zu einer scharfen Entgegnung an, aber Ulric
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