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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gesichtsausdruck verfinsterte sich noch weiter, als
er die weiße Rieseneule nur ein knappes Dutzend Schritte entfernt
auf der anderen Seite des Baches in einem Ast sitzen sah. Nach wie
vor unsicher, ob er sich das spöttische Glitzern in ihren Augen nur
einbildete oder ob es tatsächlich da war, lauschte Andrej noch einmal
mit all seinen Sinnen, menschlichen und nicht menschlichen - aber
da war gar nichts. Wenn an diesem Tier etwas Außergewöhnliches
war, so war er nicht im Stande, es mit seinen vampyrischen Fähigkeiten zu erkennen.
Andrej starrte die Eule feindselig an. Dann schickte er sich mit einem resignierenden Seufzer in sein Schicksal und watete tapfer durch
den Bach. Zumindest brauchte er sich keine Gedanken darüber zu
machen, ob er sich in der Eiseskälte möglicherweise eine Lungenentzündung oder Schlimmeres holen würde. Trotzdem klapperte er vor
Kälte mit den Zähnen, als er das gegenüberliegende Ufer erreicht
hatte. Kaum hatte er sich der Eule auf drei Schritte genähert, als sich
das Tier von seinem Sitz abstieß und mit schweren Flügelschlägen
zwischen den Baumwipfeln verschwand. Andrej hielt inne, aber ihm
blieb nicht einmal genug Zeit, Enttäuschung zu empfinden, da kehrte
die Eule schon zurück und ließ sich eine kleine Wegstrecke von ihm
entfernt auf einem Ast nieder. Andrej hob wie zum Zeichen seiner
Kapitulation die Schultern und ging auf sie zu.
Wieder flüchtete die Eule, als er sich ihr bis auf zwei, drei Schritte
genähert hatte, um nach einem Augenblick wieder zurückzukommen
und sich auf einem anderen Ast niederzulassen. Andrej folgte ihr.
Das Tier beobachtete ihn, bis er fast an es herangekommen war, um
dann erneut davonzufliegen. Dieses eigentümliche Spiel wiederholte
sich noch ein gutes Dutzend Mal, und dann, ganz unerwartet, kehrte
die Eule nicht mehr zurück.
Andrej blieb stehen. Er fragte sich erneut, ob er sich nicht gerade
endgültig zum Narren machte, und war bereit, auf diese Frage mit
einem eindeutigen Ja zu antworten, als er Stimmen hörte.
Sie waren zu weit entfernt, als dass er sie hätte erkennen können,
und er verstand auch nicht, was gesprochen wurde. Aber er konnte
die Richtung identifizieren, aus der sie kamen. Sie klangen erregt -
ein Streit - und nach wenigen Schritten hörte er zumindest die Stimme Ulrics aus dem allgemeinen Durcheinander heraus.
Andrej machte abermals Halt, lauschte mit geschlossenen Augen
und wandte sich dann nach links. Er bewegte sich nicht mehr direkt
auf die Stimmen zu, sondern schlug einen Bogen, wodurch er sich
den Männern aus der entgegengesetzten Richtung näherte.
Die Stimmen wurden lauter. Er vernahm nun außer der Stimme Ulrics auch die seines ältesten Sohnes. Die beiden stritten ganz offensichtlich miteinander. Obwohl er immer noch nicht verstehen konnte,
worum es ging, bewegte er sich noch vorsichtiger weiter. Die letzten
Meter legte er geduckt und nahezu auf Zehenspitzen zurück, auch
wenn es nicht einmal ihm möglich war, sich auf dem schneebedeckten Waldboden vollkommen lautlos zu bewegen.
Das war allerdings auch gar nicht nötig. Andrej schob die Zweige
eines blattlosen Gebüschs behutsam auseinander, damit sie nicht wie
Glas unter seinen Fingern zerbrachen, und spähte mit angehaltenem
Atem auf die unregelmäßig geformte Waldlichtung hinaus, die sich
dahinter erstreckte. Wie vermutet, war Ulric in einen von heftigen
Gebärden begleiteten Streit mit Stanik verwickelt, während seine
anderen Söhne um die beiden herumstanden und sich sichtlich unwohl in ihrer Haut fühlten. Abu Dun war ebenfalls dort. Er lag auf
der anderen Seite der kleinen Lichtung auf dem Bauch. Seine Hände
waren mit dünnen Lederriemen auf dem Rücken zusammengebunden, und jemand hatte ihm den Turban vom Kopf gerissen. Das
schwarze Tuch hob sich wie eine tote Schlange vom matten Weiß
des Schnees ab. Andrej kam nicht umhin, Ulric und seinen Söhnen
einen gewissen widerwilligen Respekt zu zollen. Es gehörte schon
einiges dazu, sich unbemerkt an Abu Dun heranzuschleichen und ihn
von hinten niederzuschlagen.
Andrej war zu weit entfernt, um Abu Dun deutlich erkennen zu
können. Er schloss die Augen, lauschte konzentriert und blendete die
aufgebrachten Stimmen aus. Nach kurzer Zeit konnte er Abu Duns
tiefe, regelmäßige Atemzüge hören. Der Nubier lebte noch. Andrej
war sicher, dass er auch schon wieder bei Bewusstsein war.
Er hatte genug gesehen. Mit einem entschlossenen Ruck richtete er
sich auf,

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