Die Blutgraefin
besiegt zu haben geglaubt hatte.
Doch er war nach wie vor da. Etwas Uraltes, durch und durch Unmenschliches, so fremd und grauenvoll, und dennoch zugleich ein
Teil von ihm. Etwas, das - wie er zu begreifen begann - er niemals
wirklich besiegen oder gar vernichten konnte, denn es gehörte zu
ihm. Und es wurde stärker. Mit jedem Moment.
Andrej versuchte sich mit aller Kraft dagegen zu wehren, aber seine
Hand bewegte sich weiter, langsam, aber unaufhaltsam, als sei sie
nicht länger ein Teil von ihm, sondern von einem fremden, unüberwindlich starken Willen geleitet. Seine Finger berührten den toten
Hahn, glitten durch das zerfetzte, klebrige Gefieder und suchten das
noch warme Fleisch darunter. Ein eisiger Schauer lief über Andrejs
Rücken, ein Frösteln, das nichts mit der äußeren Kälte zu tun hatte,
und er hörte ein leises Wimmern, das er erst nach einigen Sekunden
als den Klang seiner eigenen Stimme identifizierte. Mit aller Gewalt
versuchte er, seine Hand zurückzuziehen, doch seine Finger gruben
sich stattdessen nur noch tiefer in das zerrissene Fleisch des toten
Vogels. Endlich lösten sie sich daraus und sein Arm hob sich.
Im bleichen, farbenverzehrenden Licht des Mondes wirkte das Blut,
das seine Finger besudelte, fast schwarz. Der Anblick verursachte
ihm Übelkeit und war zugleich auf eine unmöglich in Worte zu fassende, düstere Art erregend, die uralte Erinnerungen in Andrej wachrief. Erinnerungen, die weder zu seinem Leben noch zu ihm gehörten, sondern Teil von etwas unsagbar viel Älterem, Fremderem waren, dem nichts Menschliches anhaftete. Langsam näherte sich Andrejs Hand seinem Gesicht. Warmes, klebriges Blut besudelte seine
Haut, als er sich mit den Fingerspitzen über Stirn und Nasenrücken
fuhr, eine glitzernde rote Spur über seine Wangen zog und sich seinen Lippen näherte. Er konnte das Blut riechen. In ihm regte sich
eine Begierde, die mit jedem Moment stärker wurde und eine Verheißung mit sich brachte, der zu widerstehen ihm immer schwerer
fiel, da er wusste, dass es wahr war: die Verheißung von Stärke; unüberwindlicher, berauschender Macht, die in diesem wertvollsten
aller Säfte enthalten war. Es war unendlich lange her, dass er das
letzte Mal ein Leben genommen hatte, und noch länger, dass er Blut
getrunken hatte. Aber er hatte nicht vergessen, wie es war.
Seine Hand zitterte immer stärker. Der Blutgeruch, unendlich
schwach und unendlich verlockend, ließ die Gier in ihm aufflammen.
Ein kleiner Teil seiner selbst schrie in blanker Verzweiflung auf, aber
diese Stimme wurde mit jedem Moment schwächer. Seine zitternde,
zu einer Kralle gekrümmte Hand wirkte wie die eines Fremden, ja,
eines Feindes. Sie berührte seinen Mundwinkel, hinterließ eine dünne, unendliche süße Spur aus klebriger Röte auf seinen Lippen. Seine
Zungenspitze tastete danach, und jener andere, ältere Teil seiner
selbst jubilierte voller Vorfreude auf den kommenden Trunk, der ihm
endlich die Nahrung geben würde, die Andrej ihm so lange verweigert hatte. Ein Tropfen. Nur ein einziger, unendlich süßer Tropfen…
Andrej schrie auf, packte sein linkes Handgelenk mit der rechten
Hand und rammte seinen Arm mit solcher Wucht nach unten und auf
den Boden, dass die Haut über seinen Knöcheln aufplatzte und frisches, hellrotes Blut in den Schnee spritzte. Er musste einen Stein
getroffen haben, denn der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen,
aber tausendmal schlimmer war der lautlose Schrei, mit dem das Ungeheuer in seinem Inneren seine Wut herausbrüllte, als es sich im
letzten Moment um seine schon sicher geglaubte Beute betrogen sah.
Noch einmal, für die unendlich kurze Spanne eines Gedankens, aber
mit unwiderstehlicher Gewalt, loderte die düstere Kraft in seinem
Inneren auf und drohte ihn endgültig zu überwältigen. Plötzlich war
in ihm nur noch Gier, eine rasende, verzehrende Wut, die töten, verletzen und zerreißen wollte, die seinen eigenen Willen und alles
Menschliche in ihm einfach hinwegfegte, so mühelos, wie die Hand
eines Riesen einen Schmetterling beiseite geschleudert hätte. Blut.
Der Geschmack von warmem, verwundbarem Fleisch auf der Zunge,
in das er die Krallen schlagen konnte, das unendlich berauschende
Gefühl, mit dem er den Schnabel in den noch zuckenden, sich aufbäumenden Leib seines Opfers grub und sich zu seinem pochenden
Herzen wühlte, und…
Andrej warf sich herum, packte seine verletzte linke Hand mit der
rechten und drückte mit
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