Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Schädel zu wickeln,
stand Andrej mit einer fließenden Bewegung auf und schob nach
einem letzten, fast unmerklichen Zögern das Schwert in die lederne
Scheide an seinem Gürtel zurück. Stanik hob erstaunt die linke Augenbraue; auch seine Brüder wirkten einen Moment lang fassungslos.
Ulric sah mit einem Mal womöglich noch erschrockener als zuvor
aus. Vielleicht machte er sich seine eigenen Gedanken darüber, was
es bedeuten mochte, wenn ein Mann, der ganz allein fünf anderen
gegenüberstand, in aller Seelenruhe seine Waffe einsteckte.
»Also?« Andrej verschränkte herausfordernd die Arme vor der
Brust und sah einen nach dem anderen an.
Ulric setzte dazu an, etwas zu sagen, beließ es aber bei einem hilflos wirkenden Kopfschütteln und forderte Stanik mit einer Geste auf
zu sprechen.
»Es war genauso, wie mein Vater erzählt«, sagte Stanik im gleichen
trotzig herausfordernden Ton wie zuvor, aber ohne dass er die Kraft
aufgebracht hätte, Andrej Blick standzuhalten. »Ich war früh wach
und bin nach draußen gegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Als
ich zum Haus zurückwollte, habe ich den…« Er stockte einen winzigen Moment lang, und als er weitersprach, war Andrej klar, dass er
eigentlich ein anderes Wort im Sinn gehabt hatte. »… Nubier gesehen, wie er nach draußen ging.« Er hob die Schultern und setzte seine Verteidigung in patzigem Tonfall fort: »Ich bin ihm nach. Er ist
hierher gegangen, und dann habe ich Lärm gehört.«
»Lärm?«
Abermals zuckte Stanik mit den Schultern, bevor er antwortete.
»Ich dachte, es wären Stimmen. Dann hörte es sich an wie ein Streit
oder ein Kampf. Ich…« Er brach ab und fuhr sich nervös mit der
Zungenspitze über die Lippen.
»Du hattest Angst«, vermutete Andrej.
Stanik schwieg.
»Das war nur vernünftig von dir«, sagte Andrej in hörbar versöhnlicherem Ton und wies auf Abu Dun, der noch immer gegen den
Baum gelehnt dasaß und vergeblich versuchte, seinen Turban zu wickeln. Seine Benommenheit war nicht gespielt.
»Wieso?«, schnappte Stanik. »Weil ich ein dummer Bauerntölpel
bin?«
»Weil jemand, der fähig ist, Abu Dun so etwas anzutun, dich ohne
die geringste Mühe getötet hätte«, gab Andrej zurück. Er starrte Stanik noch einen Moment lang an, dann drehte er sich um und ließ sich
neben Abu Dun in die Hocke sinken. »Alles in Ordnung?«
Nichts ist in Ordnung, antwortete Abu Duns Blick. Er hatte es endlich geschafft, das schwarze Tuch unordentlich um seinen Schädel zu
wickeln und ließ mit einem erschöpften Seufzen die Arme sinken.
Andrej erkannte in seinen Augen eine Kraftlosigkeit und Schwäche,
die ihn fast mehr erschreckte als alles andere, was er bislang gesehen
hatte. Was war hier bloß passiert?
»Es geht schon«, murmelte Abu Dun. Seine Stimme klang nicht so,
als sei er selbst von dem überzeugt, was er sagte.
»Hast du gehört, was der Junge erzählt?«, fragte Andrej. »Ist es
wahr?«
Zwei, drei Herzschläge lang blieb ihm der nubische Sklavenhändler
die Antwort schuldig. Dann nickte er, verzog das Gesicht vor
Schmerzen und antwortete mit einem unverständlichen Grunzen.
Allmählich begann sich Andrej ernsthafte Sorgen zu machen. Wenn
Abu Dun ihnen etwas vorspielte, tat er es perfekt - aber er war sicher,
dass der Ausdruck von Schmerz auf Abu Duns Gesicht ebenso echt
war wie die abgrundtiefe Verwirrung in seinen Augen.
Er stand auf und wandte sich wieder an Ulric. »Und ihr?«
»Wir sind Stanik nachgegangen«, antwortete Ulric. »Wir dachten…«
Er sprach nicht weiter. Andrej blickte ihn einen Moment lang
durchdringend an, dann fügte er mit einem verstehenden Nicken hinzu: »Du hattest Angst, dass er etwas Dummes tut, wenn er allein mit
Abu Dun im Wald ist.«
Ulric schwieg.
»Du solltest ein ernstes Wort mit deinem Sohn sprechen«, empfahl
Andrej. »Er ist noch jung, aber nicht mehr so jung, dass man ihm
jede Dummheit durchgehen lassen kann. Eines Tages wird er sich
selbst und vielleicht euch alle in große Schwierigkeiten bringen.«
Er bemerkte, dass Stanik zu einer wütenden Antwort ansetzte, doch
sein Vater brachte ihn mit einer herrischen Geste zum Verstummen.
Andrej ließ sich abermals neben seinem verletzten Gefährten in die
Hocke sinken. »Was war los?«, flüsterte er so leise, dass nur Abu
Dun die Worte verstehen konnte. Der Nubier deutete mit den Augen
ein Kopfschütteln an. Andrej verstand. Mit einem Ruck erhob er sich
wieder und wandte sich um.
»Es ist gut«, sagte er schroff. »Ihr

Weitere Kostenlose Bücher