Die Blutgruft
war sie nicht tot? Hatte sie nur in den Zeiten ihres Verschwindens etwas Schreckliches erlebt, das sie zu diesem so anderen Aussehen gezwungen hatte?
Er konnte keine Antwort finden. Für ihn war eine Welt zusammengebrochen. Er sah sich nicht mehr in der Realität, sondern ein Stück davon entfernt, denn was er hier zu Gesicht bekam, das konnte und durfte einfach nicht dazugehören.
Bisher hatte sich im Gesicht der Person nichts bewegt. Das änderte sich, als die bleichen und kaum erkennbaren Lippen zu zucken begannen und schließlich zu einem Grinsen erstarrten. Dabei war die Oberlippe zurückgezogen worden, und so erhielt der Sheriff freie Sicht auf die obere Zahnreihe, die nicht normal war.
Zwei Zähne standen vor.
Spitze Zähne!
Don Rifkin wusste, was es zu bedeuten hatte, doch sein Verstand weigerte sich, es zu glauben. Er hatte Filme gesehen, und ihm fiel plötzlich der Streifen »Interview mit einem Vampir« ein, aber das war doch nicht die Realität, verdammt noch mal. In der Wirklichkeit gab es keine Vampire, so musste man es sehen.
Verkleidet. Sie konnte sich verkleidet haben, um andere Menschen in Angst zu versetzen. Die Tote allerdings passte nicht in dieses etwas lockere Bild hinein. Das war wieder eine völlig andere Schiene. Man hatte die Witwe getötet, und ein Mord ist nun mal kein Spaß.
Also doch!
Sie war es. Sie lief durch die Gegend, um das Blut anderer Menschen zu trinken. Sie hackte die Zähne in den Hals der Personen. Don brauchte nur an den Hals der Toten zu denken, da verwandelte sich die Theorie in eine böse Praxis.
Der Herzschlag, die Angst. Die Kälte auf seinem Rücken. Da kam einiges zusammen und lähmte ihn. Dass er auf die Person zielte, kam ihm nicht mehr zu Bewusstsein. Er war am gesamten Körper steif geworden. Wie eingefroren, schockgefrostet...
Warum war Jessica zurückgekommen? Was wollte sie hier? Sich noch mehr Blut holen? Von ihm trinken oder sich noch mal auf die Tote stürzen?
Daran glaubte er nicht, denn in ihm stand ihr eine lebendige Person gegenüber, in deren Adern das warme und frische Blut floss.
Die erste große Furcht hatte er besiegt und konnte wieder sprechen, auch wenn es ihm Mühe bereitete. Seine Stimme glich mehr einem Krächzen, als er ihren Namen aussprach.
»Jessica...?«
Er hatte eine Reaktion erwartet, aber da tat sich nichts. Sie blieb einfach nur stumm, vor ihm stehen.
»He, du...«
Tief in ihrer Kehle wurde ein Zischlaut geboren, den er genau hörte. Er war so etwas wie ein Startsignal, und im nächsten Moment wunderte er sich darüber, wie schnell sich die Person bewegte.
Sie war sofort bei ihm und schlug zu. Dass er eine Waffe in der Hand hielt, daran störte sie sich nicht.
Rifkin gelang es nicht, den beiden Händen auszuweichen. Sie trafen ihn am Kopf. Nägel kratzten dabei über seine Haut hinweg. Wahrscheinlich blieben einige Fetzen darunter kleben, aber das alles interessierte ihn nicht mehr. Die beiden Treffer hatten ihn zurück bis gegen die Wand geschleudert und gleichzeitig zur Seite gedrängt. Dort stand auch ein schmaler hoher Schrank, gegen dessen Seite er prallte und aufgehalten wurde.
Jessica drehte sich.
Gleichzeitig richtete sich der Sheriff zu seiner vollen Größe auf. Die Waffe hatte er festgehalten. Wie festgeleimt lag der Revolver in seiner rechten Hand.
Sie wollte ihn, denn sie kam vor!
»Bleib stehen!«
Jessica lächelte nur grausam.
»Verdammt noch mal, du sollst...«
Sie ging den zweiten Schritt!
Noch zögerte der Sheriff. Es war nicht leicht für ihn, auf einen unbewaffneten Menschen zu schießen. Er musste sich erst von dem Gedanken befreien, hier keinen Menschen vor sich zu haben, sondern eine Gestalt, die den schrecklichsten Mythen der Menschheit entstiegen war. Vampire pfählte man, oder man hielt ihnen geweihte Kreuze vors Gesicht.
Er besaß weder ein Kreuz noch einen Pfahl. Nur den Revolver, und den setzte er ein.
»So nicht!«, schrie er, und dann drückte er ab.
In dem Raum hallte der Schuss überlaut wider. Der Kopf schien fast zu explodieren, und er sah, wie die Kugel in den Körper der Gestalt einschlug.
Jessica zuckte zusammen. Sie zitterte plötzlich. Sie ging zurück. Einen Schritt, dann einen zweiten, aber sie sackte nicht zusammen und hielt sich auf den Beinen.
Don Rifkin staunte. Wieder schoss ihm in kürzester Zeit so vieles durch den Kopf. Er hatte das Gefühl, auf einem Karussell zu sein, das sich immer schneller drehte. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Seine rechte
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