Die blutige Sonne
Ausgestoßene«, wandte Cleindori ein. »Vater, wenn du Janines Gesicht gesehen hättest, als sie von dir sprach und von dem Verbotenen Turm …«
Damons Gesicht spannte sich. »Ich liebe Janine nicht so sehr, daß mir ihre schlechte Meinung über mich auch nur eine schlaflose Nacht bereitet.«
»Aber Cleindori hat recht«, fiel Kennard ein. »Wir sind Renegaten. Hier auf dem Land richten sich die Leute nach deinen Ansichten, aber überall sonst in den Domänen sind sie der Meinung, daß nur die Türme Laran -Unterricht erteilen sollten. Auch ich werde in einen Turm gehen, vielleicht nach Neskaya oder nach Arilinn selbst, wenn ich meine drei Jahre Dienst bei der Garde hinter mir habe. Lady Janine sagt, wenn Cleindori nach Arilinn geht, muß ich warten, bis sie die Jahre der Absonderung hinter sich hat. Denn eine Bewahrerin darf während ihrer Ausbildung keinen Pflegebruder oder sonst jemanden, mit dem sie durch Zuneigung verbunden ist, in ihrer Nähe haben.«
»Cleindori geht nicht nach Arilinn«, erklärte Damon, »und damit Schluß!« Er wiederholte, diesmal noch heftiger: »Menschliches Fleisch und Blut können die Regeln von Arilinn nicht aushalten!«
»Und ich sage noch einmal, daß das Unsinn ist«, widersprach Cleindori, »denn Callista hat es ausgehalten und die Lady Hilary von Syrtis und Margwenn von Thendara und Leominda von Neskaya und Janine von Arilinn und Leonie selbst und mehr als neunhundertundzwanzig Bewahrerinnen vor ihr, wie es heißt. Und was sie ausgehalten haben, kann ich auch aushalten, wenn ich muß.«
Sie stützte das Kinn auf die gefalteten Hände und sah ernsthaft zu ihrem Vater auf. »Du hast mir oft genug gesagt, schon als ich noch ein kleines Kind war, daß eine Bewahrerin nur ihrem eigenen Gewissen verantwortlich ist. Und daß überall unter den besten Frauen und Männern das Gewissen die einzige Richtschnur für ihr Tun ist. Vater, ich habe das Gefühl, daß ich zur Bewahrerin berufen bin.«
»Du kannst bei uns Bewahrerin werden, wenn du erwachsen bist«, brummte Damon, »und das ohne die Quälerei, die du dir in Arilinn gefallen lassen mußt.«
»Oh!« Zornig sprang sie auf und lief im Zimmer auf und ab. »Du bist mein Vater, du willst in mir immer nur das kleine Mädchen sehen! Vater, meinst du, ich weiß nicht, daß unsere Welt ohne die Türme dunkel vor Barbarei wäre? Ich bin noch nicht weit herumgekommen, aber ich bin in Thendara gewesen, und ich habe dort die Raumschiffe der Terraner gesehen, und ich weiß, wir sind nur deshalb ihrem Imperium nicht einverleibt worden, weil die Türme unserer Welt geben, was wir brauchen, mit Hilfe unserer alten Matrix-Wissenschaften. Wenn in den Türmen das Licht ausgeht, fällt Darkover wie eine reife Pflaume den Terranern in die Hände, denn das Volk wird nach der Technik und dem Handel des Imperiums schreien!«
Damon erwiderte ruhig: »Das halte ich nicht für unvermeidlich. Ich hasse die Terraner nicht; mein engster Freund, dein Onkel Ann’dra, wurde als Terraner geboren. Aber das ist das Ziel meiner Arbeit: Wenn das Licht im letzten Turm ausgeht, soll unter der Bevölkerung der Domänen genug Laran vorhanden sein, daß Darkover unabhängig ist und nicht bei den Terranern betteln gehen muß. Der Tag wird kommen, Cleindori. Ich sage dir, der Tag wird kommen, an dem jeder Turm in den Domänen leersteht und nur noch Raubvögel darin nisten …«
»Verwandter!« protestierte Kennard und machte schnell ein unheilverhütendes Zeichen. »Sag so etwas nicht!«
»Es ist nicht angenehm zu hören«, entgegnete Damon, »aber es ist wahr. Jedes Jahr sind es weniger von unsern Söhnen und Töchtern, die die Begabung und den Willen haben, die Schulung alter Art auf sich zu nehmen und sich den Türmen zu weihen. Leonie klagte mir einmal, sie habe mit sechs jungen Mädchen angefangen, und davon habe nur eine die Ausbildung beenden können; es war die Leronis Hilary, und sie wurde krank und wäre gestorben, wenn man sie nicht aus Arilinn fortgeschickt hätte. Drei der Türme – Janine würde dir das nie erzählen, Cleindori, aber ich, der ich in Arilinn war, weiß es genau – drei der Türme arbeiten mit einem Mechanikerkreis, weil sie keine Bewahrerin haben und eine Frau nach ihren törichten Gesetzen nur dann Bewahrerin werden kann, wenn sie bereit ist, aus sich ein abgesondertes Symbol der Jungfräulichkeit zu machen. Sie behaupten, ihre Kraft und ihr Laran seien nicht so wichtig, wenn sie nur eine jungfräuliche Göttin darstelle, isoliert
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