Die Blutlinie
im Kopf bin. Jetzt sehe ich sie wirklich.
Sie ist wunderschön, Mami.
»Ja, das ist sie, Liebes«, murmele ich.
Hillsteads Augen ziehen sich zusammen. Diesmal kann ich ihn hören. »Mit wem reden Sie da, liebste Smoky? Verlieren Sie den Verstand? Besser, wenn Sie sich jetzt zusammenreißen. Nur noch drei Sekunden, bis die süße Bonnie anfängt zu grinsen – unter dem Kinn.«
Der Schuss, den ich abgeben muss, um sie zu retten, ist schwierig. Ungefähr ein Viertel von Hillsteads Kopf ist zu sehen. Der Rest versteckt sich hinter Bonnie.
Ich fange an zu berechnen, und Modelle und Möglichkeiten surren durch meinen Kopf. Langsam zuerst, dann schneller, immer schneller.
Der Drache spürt, dass seine Zeit gekommen ist, und er schnurrt vor Behagen.
Erneut höre ich die Stimme von Alexa, und sie schmiegt sich in den Rhythmus des Schnurrens wie Wind in einen schweren Regen. »Keine Angst, Mami. Verlass dich auf dein Gefühl. Es steckt in dir, und du musst auf dich selbst vertrauen.«
»Ich weiß nicht, Alexa«, antworte ich. »Fünf Zentimeter, höchstens. Eher vier. Ich weiß es einfach nicht. Ich könnte sie treffen.«
Ich spüre, wie sie von hinten ihre Geisterarme um mich schlingt. Eine Hand geht nach oben, zu meinem Herzen. »Es ist in dir, Mami. Du hast aufgehört, darauf zu vertrauen, aber Bonnie braucht dich jetzt. Und es ist nicht schlimm für mich, dass du sie brauchst. Du hast mir diese Frage in deinem Traum gestellt, doch du bist aufgewacht, bevor ich dir eine Antwort geben konnte. Liebe sie, Mami. Bitte. Es ist nicht schlimm.« Alexas Gesicht taucht in meinem Kopf auf: Matts braune Augen, sein Schelmenlächeln, seine Grübchen. Ich habe keine Angst, sie anzusehen, diesmal nicht. Sie löst ihre Umarmung, und ich spüre, wie sie sich hinter mir zurückzieht. Bevor sie geht, flüstert sie mir ein letztes Mal zu: »Verstehst du denn nicht, Mami? Du bist nicht vollkommen. Tu, was du fühlst. Das ist das Beste, was du geben kannst. Und dein Bestes ist alles, was je irgendjemand von dir verlangen könnte.«
Der Drache faucht, das Rauschen verwandelt sich in ein Tosen, das sich in mir aufbäumt, mich immer weiter ausfüllt, und dann …
Meine Hand hört auf zu zittern.
Ich hebe die Waffe und drücke den Abzug, ohne bewusst darüber nachzudenken.
Ich höre das Knallen des Schusses nicht. Es läuft alles vor mir ab wie in einem Stummfilm, rein visuell. Ich sehe, wie Bonnies Gesicht nach hinten ruckt, als Hillsteads Kopf explodiert, wie das Messer aus seiner Hand fällt, und ich weiß, dass ich sie zusammen mit ihm getötet habe.
Ich spüre, wie ein Schrei in meiner Kehle aufsteigt. Meine Hände fahren nach oben zu meinem Kopf.
Und dann – dann kommt Bonnie auf mich zu, hoppelt mir mit ihren gefesselten Füßen entgegen. Sie wendet mir die linke Wange zu, und ich sehe Hillstead am Boden, ein Einschussloch im Auge.
Ich begreife. Der Schuss ist gelungen.
Es war äußerst knapp. Die Kugel hat Bonnie an der Wange gestreift, doch sie hat ihr Ziel getroffen. Bonnie ist gerettet. Hillstead ist tot.
Meine Hand zittert, als ich die Waffe einstecke. James und Alan kommen die Treppe hochgestürmt, gefolgt von Tommy. Alan stürzt zu Elaina und befreit sie von ihren Fesseln, hüllt sie in eine Decke, während James und Tommy auf mich und Bonnie einreden und fragen, ob ich verletzt bin.
Ich antworte nicht. Ich sehe schweigend auf ihn hinab.
Der Mann, der Sands den Zugang zu meinem Haus ermöglicht hat, der verantwortlich ist für den Tod meiner Familie und die Narben in meinem Gesicht, liegt tot am Boden. Ich denke an die Woge aus Zerstörung, die er hinter sich hergezogen hat.
Am Ende hat er bewiesen, was er immer gesagt hat. Der Tod ist nur einen Schritt entfernt.
Andererseits – das Gleiche gilt für das Leben und all seine Verfechter.
KAPITEL 57
Callie hat drei Leute eingeladen für diesen Moment. Marilyn, Elaina und mich. Bonnie ist sowieso dabei, was Callie recht zu sein scheint.
Zwei Tage nach dem Tod von Peter Hillstead ist Callie aus ihrem Koma erwacht. Seither sind zwei weitere Tage vergangen, und der Arzt will testen, ob sie noch ein Gefühl in ihren Beinen und Füßen hat und sie bewegen kann. Callie gibt sich die größte Mühe, es zu verbergen, doch ich sehe ihr an, dass sie entsetzliche Angst hat.
Sie sieht furchtbar aus. Blass. Müde. Aber sie ist am Leben.
Jetzt werden wir herausfinden, ob sie irgendwann wieder laufen kann.
Der Arzt hält ein Instrument aus Edelstahl, das jeder schon einmal
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