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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Calvins Einstellung zu den Juden sich von der Luthers sehr unterscheidet. Erstens zählt er sie zu den Auserwählten Gottes und bringt sogar Gründe dafür vor, dass alle Nachkommen Abrahams, einzigartig unter den Nationen, das ewige Leben genießen werden.«
    »Haben die Juden diese frohe Kunde schon vernommen?«, fragte Tannhäuser.
    »Und im Gegensatz zu Luther und Rom gibt Calvin den Juden nicht die Schuld am Tod Christi. Er gibt vielmehr allen die Schuld. Calvin sagt nämlich, dass man nicht behaupten kann, die Juden seien außerordentlich böse, weil alle Menschen gleich böse sind, und nicht nur relativ gesehen, sondern insgesamt. Gleichzeitig sind die Juden daher aber auch nicht weniger sündig oder lasterhaft als alle anderen.«
    Sie lächelte, als wollte sie ihn mit leisem Spott herausfordern.
    »Das ist zu hoch für mich«, gestand er. »In meinem Leben hat es bisher viel zu viel theologisches Wirrwarr gegeben.«
    »Aber Calvin ist viel klarer als alle anderen. Ihr müsst nur wissen, dass alle Menschen ohne Ausnahme hoffnungslos und absolutböse und verderbt sind – Gläubige wie Ungläubige, Erlöste und Verdammte, Gute und Schlechte gleichermaßen.«
    »Das weiß ich wirklich, obwohl ich selbst zu diesem Schluss gelangt bin.«
    »Trotzdem werden einige in den Himmel kommen, obwohl sie genauso böse sind wie diejenigen, die in die Hölle müssen.«
    »Dann habe ich wohl doch noch eine Chance.«
    »Ihr seid also nicht so heilig, wie Euer Wams vermuten lässt.«
    »Mein Wams täuscht die Menschen, aber Gott nicht.«
    »Doch Ihr glaubt an Ihn?«
    »Ich glaube an einen Gott jenseits aller Namen oder Lehren.«
    Pascale wandte sich an ihre Schwester. »Er redet genau wie Vater.«
    Flore nickte. Sie warf Tannhäuser einen misstrauischen Blick zu. Sie war vielleicht ein Jahr älter als Pascale, aber nicht annähernd so keck. Pascale drehte sich wieder zu Tannhäuser.
    »Mein Vater ist auch ein Freidenker.«
    »Ich wäre vorsichtig, uns so zu bezeichnen, es sei denn, du willst uns am Galgen baumeln sehen.«
    »Er sagt, dass in zukünftigen Zeiten die Menschen nur voller Verwunderung auf das Elend blicken werden, das wir uns selbst geschaffen haben.«
    »Die werden alle Hände voll damit zu tun haben, sich über das Elend zu wundern, das sie sich selbst geschaffen haben.«
    »Er sagt, diese königliche Hochzeit und dieser Frieden seien nur eitler Schein. Er sagt, dass der Krieg nur schlummert und dass es nicht viel brauchen wird, um ihn wieder aufzuwecken.«
    »Euer Vater sollte seinen Töchtern beibringen, sich vor Fremden in Acht zu nehmen.«
    »Also muss ich mich fürchten, meine Meinung zu sagen?«
    »Das müssen wir alle.«
    »Sogar Ihr?«
    »Ich habe nichts zu sagen, für das es sich zu sterben lohnte.«
    Sie schaute ihn genau an, als versuchte sie, die Dunkelheit in seiner Seele zu deuten.
    »Das ist schade.«
    »Das hätte ich früher auch gedacht.«
    Tannhäuser schenkte sich mehr Wein ein und trank davon.
    »Was ist das Gewerbe deines Vaters?«
    »Ich bin sein Lehrling.« Pascale schwenkte ihre tintenverschmierten Hände. »Ratet.«
    »Er ist Drucker.«
    »Verleger«, berichtigte ihn Flore. »Hauptsächlich Texte für das Collège de France.«
    »Das scheint aber für einen Freidenker ein gefährlicher Beruf zu sein.« Tannhäuser fiel auf, dass Flores Hände sauber waren. »Und eure Mutter?«
    »Sie ist tot«, antwortete Flore. Sie führte dies nicht weiter aus.
    »Ihr seht nicht aus wie ein Ordensritter. Auch nicht wie ein Graf, wenn ich es recht bedenke. Aber ich wette, Ihr wart Soldat.«
    »Ich bin Händler. Ich mache Geschäfte mit dem Orient, mit Spanien, mit Nordafrika. Als ich versucht habe, mit England Handel zu treiben, habe ich alles verloren, als Eure Glaubensgenossen einen dritten Krieg anzettelten und den niederländischen Freiheitskämpfern einen Vorwand gaben, das Schiff und all meine Waren zu beschlagnahmen.«
    »Deswegen mögt Ihr uns also nicht.«
    »Ich mag euch beide sehr.«
    »Womit handelt Ihr?«
    »Safran. Pfeffer. Opium. Glas. Was immer mir in die Hände kommt.«
    »Hat Euch das nach Paris geführt?«
    »Nein, ich bin hergekommen, um meine Frau zu finden und nach Hause zu holen.«
    »Hat sie hier einen Liebhaber?«
    Diese Möglichkeit hatte Tannhäuser nie in Erwägung gezogen, nicht wegen Carlas Tugendhaftigkeit, obwohl er ihre Treue nie in Frage stellte, sondern weil er sich schlicht nicht vorstellen konnte, dass sie einen anderen Mann ihm vorziehen könnte. Trotzdem hätte er,

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