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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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sagte Flore. »Die Protestanten sind über die ganze Stadt verteilt, aber hier im sechzehnten wohnen mehr als in allen anderen Vierteln.«
    »Und wenn sie den Kopf nicht einziehen«, ergänzte Pascale, »dann schlägt man ihnen den Schädel ein.«
    Tannhäuser schaute sie an. Er war in ihrer Achtung gesunken, das sah er deutlich, aber warum ihm das so viel ausmachte, konnte er nicht begreifen.
    »Ich lobe deinen Mut«, sagte er, »und auch dein Mitgefühl, aber die Welt ist nun mal so, wie sie ist, nicht so, wie du sie gern hättest. Diesem Burschen zu helfen, das hätte die Welt nicht verändert, nicht einmal die Straße. Aber unsere eigenen Umstände hätte es sehr wohl verändert, höchstwahrscheinlich zum Schlechteren.«
    »Ich werde Euch nicht als Feigling bezeichnen, denn ich glaube nicht, dass Ihr einer seid, aber wenn man die Welt nicht durch kleine tugendhafte Taten verändern kann, dann lässt sie sich überhaupt nicht ändern.«
    »Zweifellos, Pascale. Wiederum lobe ich deine Ideale. Aber das Verhalten einer wilden Menschenmenge lässt sich nicht vorhersagen. Vielleicht wäre die Meute zahm geworden. Aber wenn sie sich gegen uns gewandt hätte, dann wäre sie das wildeste Tier gewesen. Und dann hätte ich sie alle töten müssen.«
    Pascale starrte Tannhäuser an. Sie brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass er es ernst gemeint hatte. Sie blinzelte, wollte ihre Empörung noch nicht gleich aufgeben.
    Er sagte: »Aus solch kleinen tugendhaften Taten sind schon Kriege entstanden.«
    »In Paris werden jeden Tag Hugenotten umgebracht. Sie werden verprügelt, beraubt und beleidigt. Niemand wird je dafür bestraft. Kaum jemand wagt es auch nur, die Stimme dagegen zu erheben.«
    Tannhäusers Mitgefühl mit den Hugenotten war nicht sonderlichgroß. Sie hielten sich für die Auserwählten Gottes und genossen die Opferrolle, und doch hatten sie eine ebenso gesunde Vorliebe für Scheinheiligkeit und Gewalttaten wie alle anderen, die er in seiner langen Laufbahn bei Leuten ihres Schlags gesehen hatte. Sie hatten ganze Heere von holländischen und deutschen Söldnern hergebracht, sie nicht bezahlt und ihnen nach dem Ende des Kriegs erlaubt, das Land zu plündern. Tausende von ihnen waren noch immer unterwegs und richteten eine Verheerung an, die mehrere Generationen lang nicht heilen würde. In ihrer Scheinheiligkeit konnte niemand den Anführern der Hugenotten das Wasser reichen, geschweige denn sie übertreffen. Auch in den meisten anderen Formen der Ausschweifung waren sie ihren katholischen Feinden mehr als ebenbürtig.
    »Dann bist du eine Hugenottin.«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Pascale mit einem starren Lächeln. »Da müsst Ihr meinen Vater fragen.«
    »Es wäre mir ein Vergnügen. Wo ist euer Haus?«
    Pascale deutete auf einen Laden auf der anderen Straßenseite. Er war unten in einem Haus von drei Stockwerken untergebracht, das kaum mehr als fünfzehn Fuß breit war. Freigelegte Balken schauten unter bröckelndem Putz hervor.
    Auf einem mit Unrat beworfenen Schild stand: »Daniel Malan … Drucker für Ihre Exzellenzen vom Collège de France.« Die Fenster waren von außen mit Läden verschlossen. Darunter bemerkte Tannhäuser Glasscherben.
    Pascale sagte: »Mein Vater wird bei einer seiner Versammlungen sein.«
    »Seid ihr sicher, dass meine Sachen in eurem Haus willkommen sind?«
    Flore sagte: »Natürlich. Und verzeiht Pascales scharfe Zunge. Ihr habt Euch um unsere Sicherheit gesorgt, und Ihr hattet recht.«
    Flore packte ihre Eimer und überquerte die Straße. Sie schloss die Haustür mit einem Schlüssel auf, den sie an einer Kordel um den Hals trug. Auf der Schwelle wandte sie sich um.
    »Eure Habe wird hier sein, wann immer Ihr sie braucht.«
    »Seid ihr sicher, dass euer Vater nicht da ist? Ich hätte gern seine Zustimmung zu dieser Abmachung.«
    »Ihr habt seine Töchter vor einer unvorhersehbaren Menschenmenge beschützt«, sagte Pascale. »Warum sollte er seine Erlaubnis verweigern?«
    Tannhäuser unterdrückte ein Lächeln. Er zog den Hahn seiner Muskete vom Rad fort, öffnete den Deckel der Pulverpfanne und blies das Zündmittel heraus. Er reichte Pascale das Gewehr. Das Gewicht überraschte sie. Sie brachte die Waffe hinter der Tür unter. Grégoire gab Flore die Pistolen im Holster. Tannhäuser wühlte in seinen Satteltaschen und fand schließlich Carlas Brief, den er in Wachstuch eingeschlagen hatte. Er schob ihn in seinen Stiefelschaft. Dann reichte er Pascale die Satteltaschen.

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