Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Sie verstaute sie im Inneren des Hauses. Er schaute sich auf der Straße um.
»Versprecht mir, dass ihr die Türen verschließt und im Haus bleibt, bis entweder euer Vater zurückkommt oder ich wieder hier bin. Keine gemütlichen Treffen mit Studenten in Tavernen mehr.«
»Das waren Schauspieler«, sagte Pascale.
»Schauspieler? Dann habe ich euch ja einen noch größeren Gefallen getan, als ich dachte. Versprecht es mir.«
»Ihr habt mein Wort.«
»Lasst mich hören, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht und die Riegel vorgeschoben werden.«
Tannhäuser gab Pascale einen Ecu d’or . Sie war sehr erstaunt.
Er verneigte sich zum Abschied. Pascale zeigte ihm ihr Lächeln.
»Und Ihr seid auch vorsichtig«, sagte sie. »Beim Louvre sind viele wütende Hugenotten. Und im Gegensatz zu dem jämmerlichen Jungen, den Ihr auf der Straße im Stich gelassen habt, sind sie mit Schwertern bewaffnet.«
»Warum sollten sie schlechter gelaunt sein als sonst?«
Pascale schaute ihn an, als wäre er dumm, eine Diagnose, die ihr sogleich bestätigt wurde.
»Weil jemand auf Admiral Coligny geschossen hat.«
»Verwundet oder getötet?«
»Verwundet, durch den Schuss eines katholischen Scharfschützen. Aber anscheinend wird er überleben.«
»Wann ist das passiert?«
»Gestern Morgen. In der Stadt spricht man von nichts anderem.«
»Hat man den Attentäter schon erwischt?«
»Soweit ich weiß, nicht.«
»Ich weiß die guten Wünsche und die Nachricht zu schätzen. Und jetzt tut, was ihr mir versprochen habt.«
Pascale machte die Tür zu. Tannhäuser horchte auf das Knirschen von Schlüssel und Riegel. Er zog den Brief aus dem Stiefel und wickelte ihn aus. Die großartigste Handschrift, die er je gesehen hatte. Beim bloßen Anblick zog sich ihm das Herz zusammen. Mit jedem Wort hörte er Carlas Stimme, und die Liebe versetzte ihm bittere Stiche. Und bei jedem Stich wuchs seine Angst. Er fand den Namen des Würdenträgers, der ihm nicht eingefallen war.
Christian Picart . Kämmerer der Menus-Plaisirs du Roi .
Tannhäuser faltete den Brief wieder zusammen und verstaute ihn sicher.
Admiral Coligny, der hugenottische Demagoge, war angeschossen, aber nicht tot.
Ein vierter Bürgerkrieg lag in der Luft, wenn er nicht bereits begonnen hatte.
Der Louvre war zweifellos ein Sumpf verzweifelter Intrigen.
Carla war im achten Monat schwanger.
Und Tannhäuser wusste nicht, wo sie war.
»Komm, Grégoire. Der Tag ist noch lange nicht zu Ende.«
KAPITEL 2
E IN WAHRHAFT
GROSSER P HILOSOPH
Tannhäuser kehrte zum Collège d’Harcourt zurück und fand es menschenleer. Sie gingen weiter nach Norden über den Pont Saint-Michel in die Cité, an Läden vorüber, die wertlosen Plunder und schäbige Kleidung verkauften. Tannhäuser beschloss, Carla ein Zeichen seiner Zuneigung zu erstehen. Carla gab nicht viel auf weltliche Güter. Daher war er stets verwundert darüber, wie entzückt sie über seine Geschenke war.
»Grégoire, wo würde man modische Dinge finden, die einer Dame angemessen wären?«
Grégoire antwortete etwas Unverständliches.
»Sprich langsam. Ich kann dich nicht immer wieder bitten, dich zu wiederholen, also mache ich so …« Tannhäuser wedelte mit einer Hand an einem Ohr hin und her. »Dann weißt du, dass ich dich nicht verstanden habe.«
»Es tut mir leid, Herr. Niemand hört mir zu außer den Pferden.«
»Zumindest darin bin ich einem Pferd gleich. Was hast du gesagt?«
Grégoire deutete auf die Fassade. »Das ist die große Markthalle im Palais de Justice .«
In der Grande Halle wurde an Hunderten von Ständen Samt und Seide und Leinen verkauft; hier gab es Spielkarten, Schmuck, Federn, Knöpfe, Hüte und elegante Kleidung. Tannhäuser spazierte über den Markt, und plötzlich erschien es ihm beinahe als Last,dass er ein Geschenk für Carla aussuchen sollte. Die ausgestellten Seidenstoffe waren großartig. Als sie einander kennenlernten, hatte Carla sein Auge und noch weitaus mehr damit für sich gewonnen, dass sie neapolitanische Seide trug, rot und hauchdünn. Die Erinnerung an ihre Brüste unter dem feinen Stoff spukte ihm noch immer durch den Kopf. Die Stoffe erregten seine Begierde, waren aber wohl kaum das passende Geschenk für eine Hochschwangere. Oder doch? Würde der Gedanke ihr nicht schmeicheln? Hier zählte das Gefühl, das dahinter stand, aber welches Gefühl? Sein Blick fiel auf ein weißes Taufkleidchen aus Seide. Er musterte die Säume, die unsichtbaren Stiche. Carla würde es
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