Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Kämpfen und einigen Rückschlägen hatte Alfonso dieses Ziel 1437 weitgehend erreicht. Es war nun an der Zeit, den Hof nachkommen zu lassen, denn der Eroberer hatte die Absicht, auf Dauer in Neapel zu bleiben. Die 1443 in Besitz genommene Stadt am Vesuv wurde zum Zentrum des aragonesischen Großreichs auserkoren und Alonso de Borja zu dessen wichtigstem Minister. Als solcher hatte er bedeutsame diplomatische Aufgaben zu bewältigen.
Das Königreich Neapel war ein Lehen der Kirche, das heißt, der Papst hatte als Oberherr sein Plazet zum Herrschaftswechsel zu erteilen. Doch dazu war Eugen IV., der Nachfolger Martins V., nicht ohne weiteres bereit. Ein so mächtiger Herrscher im Süden der Halbinsel musste – so seine Befürchtungen – das mühsam ausbalancierte Gleichgewicht zwischen den Hauptmächten empfindlich stören. Dazu gehörten außer Neapel die Republik Venedig mit ihren frisch eroberten Festlandbesitzungen im Nordosten, das Herzogtum Mailand unter der Familie Visconti, die Republik Florenz, die den nördlichen und zentralen Teil der Toskana beherrschte, sowie der Kirchenstaat unter seinem geistlichen Wahlmonarchen.
Nach schwierigen Verhandlungen gelang es Alonso de Borja, den Papst von seinem Widerstand gegen die aragonesische Nachfolge in Neapel abzubringen und zu einer wohlwollenden Neutralität zu bewegen. Damit hatte der Mann aus Játiva nicht nur seinem Herrn einen wichtigen Dienst erwiesen, sondern durch seine geschickte Verhandlungsführung auch in Rom Ansehen erworben. Einen ähnlichen Erfolg konnte der oberste Ratgeber des Königs in Neapel verbuchen, wo er einen Modus vivendi mit den führenden Baronen aushandelte. Als Gegenleistung für die Anerkennung von Alfonsos Königswürde verlangten diese mächtigen Feudalgeschlechter Bestandsgarantien für ihre weitgehend unumschränkte Herrschaft auf dem Lande. Dort sprachen sie nicht nur Recht, sondern zogen auch Steuern ein und stellten eigene Heere auf. An diese Vormachtstellung sollte auch der neue, ehrgeizige Monarch nicht rühren; überschritt er diese Grenze, musste er mit Aufständen rechnen. Auch bei dieser Vermittlung zwischen Herrscher und Eliten war de Borja erfolgreich. Die Barone konnten ihre Forderungen weitgehend durchsetzen, der König seinerseits behielt sich die Ernennung der wichtigsten Hof- und Verwaltungsämter vor und gewann eine unumschränkte Verherrlichungshoheit.
Alfonso zog führende Gelehrte wie den Humanisten Lorenzo Valla an seinen Hof in Neapel, die nicht nur mit historischen Schriften seinen Ruhm zu mehren hatten, sondern auch politische Kämpfe für ihren Herrn austrugen. So widerlegte Valla die Konstantinische Schenkung, mit der das Papsttum seinen Anspruch auf Oberhoheit über alle Herrscher der Christenheit untermauerte, als Fälschung. Diese Polemik zeigt, wie spannungsreich sich das Verhältnis zwischen Neapel und Rom trotz aller Vermittlungen gestaltete.
Doch Alonso de Borja erlitt durch diese Spannungen keine Nachteile, im Gegenteil. 1444 wurde der Fünfundsechzigjährige auf Vorschlag seines Königs von Eugen IV. zum Kardinal erhoben. Mächtige Fürsten wie Alfonso konnten ihre Kandidaten für diese hohe kirchliche Würde in der Regel durchsetzen. Glücklich waren die Päpste über diese «Thronkardinäle» nicht, denn diese waren nicht ihnen selbst, sondern ihrem gekrönten Protektor verpflichtet; für diesen erfüllten sie die Aufgaben eines Agenten und Geschäftsträgers. Dazu gehörte die Sicherung lukrativer Pfründen für die Wunschkandidaten ihres Patrons und natürlich politische Fürsprache im Konsistorium, der gemeinsamen Beratung von Papst und Kardinälen. Alle diese Dienste leistete auch Alonso de Borja, doch ohne damit größeren Anstoß zu erregen. Das lag auch daran, dass er innerhalb des zwanzigköpfigen Kardinalskollegiums, das sich gerne als «Senat der Kirche» titulieren ließ, zu den unauffälligen Figuren zählte.
Um in dieser illustren Gesellschaft Einfluss auszuüben, fehlte ihm schlichtweg alles: ein klangvoller Name, die richtige, das heißt italienische Nationalität, das Geld, die Gefolgschaft und nicht zuletzt, so schien es zumindest, die noch zu erwartende Lebenszeit. An der Kurie dominierten stattdessen die Kirchenfürsten, die das alles besaßen, vieles sogar im Übermaß: die Abkömmlinge der italienischen Fürstenhäuser und der römischen Baronalfamilien Colonna und Orsini, die die Ewige Stadt und ihre ländliche Umgebung Jahrhunderte lang wie Kleinkönige beherrscht
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