Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
einen Giftmord präzise geplant, vollzogen und ausgenutzt haben. Und dann gibt es noch die bereits angesprochenen Berichte der Botschafter, die mit den Borgia von Angesicht zu Angesicht diskutiert, verhandelt, gestritten und Verträge ausgehandelt haben. Wie die Beispiele Donatos und Machiavellis zeigen, vertraten sie gewiss die Interessen ihrer Auftraggeber und waren deshalb nicht völlig unvoreingenommen. Ihnen jedoch in ihrer Gesamtheit zu unterstellen, das Bild der Borgia böswillig zu verfälschen, heißt, eine Verschwörung zu konstruieren, für die es keinen Anlass und auch keine organisatorische Basis gab.
Alle diese Quellen bilden zusammen ein Fundament gesicherten Wissens, auf dem sich aufbauen lässt. Auf diese Weise lässt sich belegen, dass die Borgia bei allen Tabubrüchen und Normenverletzungen zugleich Kinder ihrer Zeit waren. Ihr Aufstieg im Rom der Renaissance spiegelt die Regeln, Werte, Karrieremuster, Institutionen, Machtverhältnisse und inneren Widersprüche des Papsttums wider. Die Geschichte der Borgia führt also mitten hinein in eine gärende, expandierende Stadt, in der Altes und Neues, Christliches und Heidnisches aufeinanderprallen, in der neue künstlerische Ausdrucksformen gefunden und Wege zu einer Reform der Kirche gesucht werden. Eine kollektive Biographie der Borgia weitet sich so zu einem Spaziergang durch ein Zeitalter von einzigartiger künstlerischer und kultureller Vielfalt, in dem die Medien und der von ihnen erzeugte schöne Schein erstmals konsequent als Instrumente der Politik eingesetzt wurden.
So haben die Borgia nicht nur geschriebene, sondern auch gemalte Quellen hinterlassen: Sie haben im wörtlichen Sinne ein Bild von sich zeichnen lassen, so wie es die Außen- und Nachwelt sehen und akzeptieren sollte. Pintoricchios Fresken in den Borgia-Appartements des Vatikanischen Palastes sollten nicht nur die Gesichtszüge Alexanders VI., sondern auch die Wesenszüge seiner Familie veranschaulichen; sie senden also eine Botschaft aus, die sich bis heute an die Rombesucher und Borgia-Spurensucher richtet. Auch sie gilt es zu dechiffrieren, um das Selbstverständnis der legendenumwobenen Familie zu entschlüsseln.
Der einzige Weg, das «Geheimnis» der Borgia zu lüften, führt somit in ihre Zeit zurück: zu den achtbaren, aber unauffälligen Ursprüngen im Spanien des 14. Jahrhunderts, in das Neapel unter der aragonesischen Monarchie, in das Rom der Wendejahrzehnte zwischen 1455 und 1503 – und danach wieder zurück nach Spanien und von dort aus wieder in das Italien der Katholischen Reform. Denn die Geschichte der Borgia war mit dem plötzlichen Tod Alexanders VI. im fieberheißen Rom des Jahres 1503 und dem kurz darauf besiegelten Sturz seines Sohnes Cesare nicht zu Ende. Aus dem Blickwinkel frommer Katholiken betrachtet, nahm sie jetzt erst ihren eigentlichen Aufschwung: Mit Francesco Borja (1510–1572) wurde ein Enkel des «unheimlichen Papstes» der zweite General des Jesuitenordens und später sogar heilig gesprochen. Und auf dem Höhepunkt des Dreißigjährigen Krieges drohte ein Borgia-Kardinal dem allzu frankreichfreundlichen Papst Urban VIII. im Namen der spanischen Krone mit Konzil und Absetzung. Hemmungsloser Lebensgenuss und geistliche Disziplin, Ausschweifung und Askese folgen in dieser einzigartigen Familiengeschichte nahtlos aufeinander.
1. Die spanischen Borja: Herkunft und Aufstieg
Auf dem Höhepunkt ihrer Macht haben die Borgia triumphierend auf ihre Ursprünge zurückgeblickt und diese so ruhmvoll wie nur möglich gezeichnet: Auf der vergoldeten Kassettendecke der Basilika Santa Maria Maggiore schmückt sich der Stier, das Wappenemblem der Familie, mit der Doppelkrone der Könige von Aragón. Diese Herleitung aus einer Seitenlinie des illustren Königshauses darf getrost als Erfindung abgetan werden, und zwar nach dem für die Zeitgenossen eingängigen Muster: Was heute vornehm ist, muss es immer schon gewesen sein.
Vornehm war die Vorgeschichte der Familie de Borja, wie sie sich in ihrem Heimatstädtchen Játiva bei Valencia nannte, zwar nicht, doch achtbar allemal. Über Generationen hinweg bekleideten die Angehörigen des verzweigten Geschlechts Führungspositionen in der lokalen Verwaltung und Justiz; auf der Stufenleiter der kirchlichen Karriere brachten sie es regelmäßig zu einem Kanonikat an der Kathedrale von Lérida, dem nächstgelegenen Bischofssitz. Damit wiesen sich die de Borja als Angehörige der örtlichen Honoratiorenschicht aus.
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