Im Herzen Des Lichts
Tempus
In den Fußstapfen des Geheimnisvollen
Janet Morris
Tempus hatte Freistatt mit seinen Stiefsöhnen und dem Rankanischen 3. Kommando verlassen. Nur die Verfemten und Taugenichtse waren geblieben.
Seltsamerweise wirkte die Stadt nach dem Abschied des Geheimnisvollen viel veränderter, als es eigentlich sein dürfte, nur weil ein einziger (dem man verschiedene Namen gab, wie Tempus, den Geheimnisvollen, den Finsteren und noch andere, unschönere Bezeichnungen) seine Privatarmee von knapp hundert Mann gesammelt hatte und abgezogen war. Aber irgendwie schien Freistatt nun aller Kraft beraubt, verängstigt und verstört.
Freistatt kauerte wie ein von Wölfen aus der Deckung gehetzter Schneehase, den seine Jäger nun umzingelten. Es zitterte und schnupperte in den Wind, als überlege es verzweifelt, in welche Richtung es laufen sollte. Es hockte wie gelähmt da und schien von besseren Zeiten zu träumen, während der kalte Frühlingswind feuchte Versprechen frischen Lebens vom Meer her landeinwärts blies, und die Wölfe mit geifernden Lefzen näher kamen.
An diesem Frühlingsabend patrouilliert Miliz mit entschlossenem Schritt durch die übelriechenden Straßen. Huren wispern an ihren Türen, statt wie sonst marktschreierisch auf sich aufmerksam zu machen. Betrunkene halten sich taumelnd entlang weißgetünchter Mauern und torkeln nicht herausfordernd in die Gegenden, wo Bettler mit blanken Messern in den Gossen lauern. Und der Wind, der von der bewegten See kommt, scheint zu kichern: Tempus, seine Stiefsöhne und das 3. Kommando haben die Stadt ihrem Schicksal überlassen, sind angewidert neuen, überschaubaren Abenteuern entgegengeritten. Freistatt ist nicht nur dem Untergang geweiht, es hat seine letzte und größte Hoffnung verloren: den Geheimnisvollen und seine Krieger.
Der Wind treibt sein Spiel damit, die Stadt leerzufegen, ihre Edlen die Kälte bis in die Knochen zu treiben, die machtlosen Zauberer in der Magiergilde festzuhalten und die hilflosen Soldaten in ihren Kasernen. Der Wind ist ein Sturm der Heimsuchung.
Noch nie war der Frühling so unheilträchtig im Labyrinth wie in diesem Jahr, da die ersten rauhen Böen mehr Schutt als verrottende Borke und alte Lumpen durch die Straßen peitscht. Der Wind stemmt sich gegen die Brustpanzer der rankanischen Berufssoldaten, die in Vierertrupps nach dem Rechten sehen, wo nichts im Rechten ist. Er heult durch die Straßen zur Oberstadt und wirft sich gegen die verriegelten Fenster der Magiergilde, hinter denen Nekromanten, jetzt, da Magie ihre Kraft verloren hat, die Zügellosigkeit ihrer Toten noch mehr fürchten als den Zorn der Liebesdienerinnen, bei denen ihre Jugend- und Schönheitszauber nun ohne Wirkung bleiben.
Und der Wind heult hinauf zur Oberstadt, wo die übriggebliebenen Edlen die Wirklichkeit ignorieren und ihre Feste inmitten all des Schutts feiern, den die einander befehdenden Faktionen, die Hexen und Zauberer, die Vampire und Zombies, die Geister und Dämonen, die Götter und ihre Anbeter, zurückgelassen haben.
Der Wind ist von der Art, wie ihn wahrscheinlich jeder schon einmal erlebt hat: Er braust aus einem nassen, grauen Himmel, der keine Grenzen kennt und den Horizont verbirgt. Laute scheinen von Nirgendwoher zu kommen und sich im Nirgendwo zu verlieren. Es gibt keine Ferne und keine Nähe, keine Zukunft und keine Vergangenheit. Man findet keine Wärme, nicht einmal bei jemandem, der dicht neben einem steht. Streckt man trostsuchend die Hand aus, ist sie klamm wie die eines Toten.
Critias, der allein unten am Hafen ist, gehen allerlei Fragen durch den Kopf. Verdienen Bettlerarmeen den warmen Sonnenschein im Gesicht? Brauchen die Untoten der Vampirin drüben in der Schlachthausgegend den Kuß der Sonne? Kann es einen strahlenden Morgen für die Magier geben, die sich in ihrer Festung verbarrikadiert haben, wo Düsternis ungebrochen ihr Zepter schwingt? Werden Zip und seine Volksfront für die Befreiung von Freistatt das Züngelchen der Waage für oder gegen die jahreszeitliche Veränderung neigen? Und spielt es überhaupt eine Rolle, ob der Frühling je wieder in diese vom Pech verfolgte Diebeswelt einzieht?
Denn Tempus war abgezogen und hatte - was zurückgelassen? Crit hatte er zurückgelassen mit der nominellen Verantwortung für die unregierbare Stadt, so daß Crits Partner, Straton, sich einfach wortlos umgedreht hatte und davongestapft war - aber nicht zu der abgezogenen Armee. Nein, Strat war nicht landaufwärts mit dem
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