Die Bourne-Identität
in Paris.«
»Und Sie ziehen die Gesellschaft reiferer Frauen vor«, meinte Jacqueline Lavier, und die Maske verzog sich wieder zu einem Lächeln.
»Das ist wahr, Madame.«
»Das läßt sich arrangieren«, sagte sie und griff nach dem Hörer.
Das Telefon! Carlos!
Er würde sie töten, wenn er das wüßte. Er würde die Wahrheit erfahren.
Marie drängte sich durch die Menge, die den Telefonkomplex an der Rue Vaugirard bevölkerte, auf eine freie Kabine zu, die man ihr zugewiesen hatte. Sie hatte ein Zimmer im >Meurice< genommen, den Aktenkoffer an der Rezeption abgegeben und war fast eine halbe Stunde allein in dem Zimmer geblieben -bis sie es nicht mehr ertragen konnte. Sie hatte eine leere Wand angestarrt und über Jason nachgedacht, über den Wahnsinn der letzten acht Tage, der sie in eine Welt geschleudert hatte, die ihr Vorstellungsvermögen überstieg. Jason: rücksichtsvoll, beängstigend, verwirrend. Jason Bourne: ein Mann, der soviel Gewalttätigkeit in sich hatte und doch soviel Mitgefühl; der sich auf so schreckliche Weise darauf verstand, sich mit einer Welt auseinanderzusetzen, mit der der gewöhnliche Mensch nie in Berührung kommt. Woher kam er? Wer hatte ihn gelehrt, sich in den dunklen Nebenstraßen von Paris, Marseille und Zürich zurechtzufinden? Was war der Ferne Osten für ihm? Waren ihm die Sprachen dort vertraut? Was für Sprachen?
Tao.
Che-sah.
Tam Quan.
Eine andere Welt, und sie war ihr völlig fremd. Aber sie kannte Jason Bourne, oder besser, den Mann, der sich Jason Bourne nannte, und hielt sich an dem Anstand in ihm fest, von dem sie wußte, daß er da war. Sie liebte ihn!
Iljitsch Ramirez Sanchez, genannt Carlos: was war er für Jason Bourne?
Hör auf! hatte sie sich angeschrien, während sie alleine im Hotelzimmer saß. Und dann hatte sie das getan, was sie Jason so viele Male hatte tun sehen: sie war vom Stuhl aufgesprungen, als würde die abrupte Bewegung die Nebel verjagen oder es ihr gestatten, sie zu durchbrechen.
Kanada. Sie mußte Ottawa telefonisch erreichen und herausfinden, weshalb der Mord an Peter auf so obskure Weise vertuscht wurde. Sein Tod gab keinen Sinn; denn auch Peter war ein anständiger Mann, und er war von Gangstern umgebracht worden. Man würde ihr entweder sagen, weshalb man seinen Tod geheimhielt - oder sie würde dafür sorgen, daß dieser Mord an die Öffentlichkeit kam.
Mit wütender Entschlossenheit hatte sie das >Meurice< verlassen, sich ein Taxi in die Rue Vaugirard genommen und das Gespräch nach Ottawa angemeldet. Jetzt wartete sie vor der Kabine, und ihr Ärger wuchs.
Endlich schlug die Glocke an. Sie öffnete die Glastür und trat in die Zelle.
»Bist du's, Alan?«
»Ja«, war die knappe Antwort.
»Alan, was, zum Teufel, geht hier vor? Peter ist ermordet worden - und in keiner Zeitung, keiner Nachrichtensendung wird auch nur ein einziges Wort davon erwähnt. Ich glaube nicht einmal, daß es die Botschaft weiß. Es ist gerade so, als wäre sein Tod allen gleichgültig! Was tut ihr denn?«
»Was man uns gesagt hat. Und das wirst du auch.«
»Was? Peter war dein Freund! Hör mir zu, Alan ...«
»Nein! Hör du zu. Du mußt Paris verlassen. Jetzt! Nimm die nächste Direktmaschine nach Ottawa. Wenn du Schwierigkeiten hast, wird die Botschaft dir helfen - aber du darfst nur mit dem Botschafter sprechen, hast du verstanden?«
»Nein!« schrie Marie St. Jacques. »Ich habe nicht verstanden! Peter ist getötet worden, und das scheint alle völlig kaltzulassen. Du redest nur Bockmist! Bloß sich in nichts einlassen, um Himmels willen!«
»Halt dich heraus, Marie!«
»Aus was heraushalten? Das ist es ja, was du mir vorenthältst, nicht wahr? Du solltest ... «
»Ich kann nicht!« Alans Stimme war leiser geworden. »Ich sage dir nur das, was man mir auf getragen hat, dir mitzuteilen.«
»Wer?«
»Das darfst du mich nicht fragen.«
»Ich frage dich aber!«
»Hör mir zu, Marie. Ich bin die letzten vierundzwanzig Stunden nicht nach Hause gegangen. Ich habe die letzten zwölf Stunden hier im Büro darauf gewartet, daß du anrufst. Versuche, mich zu verstehen - ich empfehle dir nicht zurückzukommen, sondern das ist ein Befehl deiner Regierung.«
»Befehl? Ohne Erklärung?«
»So ist es. Eines will ich dir sagen. Sie wollen dich dort herausholen; sie wollen, daß er isoliert ist ... So liegen die Dinge.«
»Tut mir leid, Alan, so liegen sie nicht. Wiedersehn.« Sie knallte den Hörer auf die Gabel und verschränkte die zitternden Hände
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