Die Bourne-Identität
Sehen Sie, ich habe sie nämlich gerade getötet.«
33.
Jason starrte die Wand des Hotelzimmers an, die Tapete mit dem verblaßten Muster. »Warum?« sagte er leise, »warum denn nur. Ich dachte, Sie hätten begriffen!«
»Ich habe mich bemüht, mein Freund«, sagte Villiers mit einer Stimme, die unendlich müde klang. »Die Heiligen wissen, daß ich mich bemüht habe, aber ich konnte einfach nicht anders. Ich sah sie immer wieder an ... sah meinen Sohn, den nicht sie mir geboren hat, sah ihn hinter ihr auf der Straße liegen, getötet von dem Schwein, dem sie hörig war. Meine Hure war die Hure eines anderen. Die Hure dieses Schweines. Es konnte nicht anders sein. Und wie ich dann erfuhr, war es auch nicht anders. Ich glaube, sie sah sogar den Haß in meinen Augen, der weiß Gott da war.« Der General hielt inne. »Sie hat nicht nur den Haß gesehen, sondern auch die Wahrheit. Sie sah, daß ich alles wußte. Was sie war, was sie in den Jahren, die wir gemeinsam verbracht hatten, gewesen war. Am Ende gab ich ihr die Chance, so wie ich Ihnen gesagt hatte.«
»Die Chance, Sie zu töten?«
»Ja. Es war nicht schwierig. Zwischen unseren Betten steht ein Nachtkästchen mit einer Waffe in der Schublade. Sie lag auf ihrem Bett, Goyas Maja, herrlich in ihrer Überheblichkeit. Sie hatte ja nie einen Gedanken an mich verschwendet. Ich öffnete die Schublade, holte mir Streichhölzer heraus und ging zu meinem Sessel und meiner Pfeife zurück. Ich ließ die Schublade offen, so daß man die Waffe deutlich sehen konnte.
Ich denke, daß es mein Schweigen war und die Tatsache, daß ich den Blick nicht von ihr wenden konnte, die sie erkennen ließen, daß ich alles wußte. Die Spannung zwischen uns hatte einen Punkt erreicht, wo Worte überflüssig sind. Ich hörte mich fragen: >Warum hast du das getan?< und dann nannte ich sie Hure, eine Hure, die meinen Sohn getötet hatte.
Sie starrte mich ein paar Augenblicke an und dann löste sich ihr Blick von mir, wanderte zu der offenen Schublade und der Waffe ... und dem Telefon. Ich stand auf, und die Asche in meiner Pfeife glühte. Sie schwang die Beine vom Bett, griff mit beiden Händen in die offene Schublade und nahm die Waffe heraus. Ich hielt sie nicht auf, nein, ich wollte es von ihren eigenen Lippen hören, wollte ihre Anklage gegen mich genauso hören, wie sie die meine gehört hatte. Was meine Ohren zu hören bekamen, werden sie mit ins Grab nehmen ... Ich bin ein Ehrenmann.«
»General ...« Bourne schüttelte den Kopf, er konnte jetzt nicht klar denken und wußte gleichzeitig, daß er nicht mehr viel Zeit hatte. »General, was geschah? Sie hat Ihnen meinen Namen genannt? Das müssen Sie mir sagen. Bitte.«
»Gerne. Sie sagte, Sie seien ein unbedeutender Revolverheld, der sich mit einem Genie messen wolle. Sie seien ein Dieb, der aus Zürich geflüchtet wäre, ein Mann, von dem sich die eigenen Leute losgesagt hätten.«
»Hat sie gesagt, wer diese Leute sind?«
»Wenn ja, dann habe ich das nicht gehört. Ich war blind, taub, von Haß verzehrt. Aber Sie haben von mir nichts zu befürchten. Das Kapitel ist abgeschlossen, mein Leben ist mit diesem Telefonat zu Ende.«
»Nein!« schrie Jason. »Tun Sie das nicht! Nicht jetzt.«
»Ich muß.«
»Bitte. Geben Sie sich nicht mit der Hure von Carlos zufrieden. Sie müssen sich an Carlos selbst rächen! Carlos in die Falle locken!«
»Und Schmach auf meinen Namen bringen, weil ich in die Fänge dieser Hure, dieser Schlampe geraten bin?«
»Verdammt noch mal - und was ist mit Ihrem Sohn? Fünf Stäbe Dynamit auf der Rue du Bac!«
»Lassen Sie ihn in Frieden. Lassen Sie mich in Frieden. Es ist vorbei.«
»Es ist nicht vorbei! Hören Sie mir zu! Nur einen Augenblick, mehr verlange ich nicht.« Die Bilder in Jasons Bewußtsein jagten an seinen Augen vorbei, verschmolzen ineinander. Aber diese Bilder hatten Bedeutung. Er konnte Maries Hand auf seinem Arm spüren. Sie hielt ihn fest, war wie ein Anker für ihn, ein Anker, der ihn mit der Wirklichkeit verband. »Hat jemand den Schuß gehört?«
»Da war kein Schuß. Der Gnadenschuß wird heutzutage mißverstanden. Für mich hat er noch eine ehrenvolle Bedeutung. Um das Leid eines verwundeten Kameraden oder eines respektierten Freundes zu beenden. Für eine Hure gilt er nicht.«
»Was wollen Sie damit sagen? Sie sagten doch, Sie hätten sie getötet.«
»Ich habe sie erwürgt, sie gezwungen, mir in die Augen zu sehen, als der Atem ihren Körper verließ.«
»Sie hatte doch
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