Die Braut des Herzogs (German Edition)
sei geradezu unangenehm voll gewesen. Als der Gästestrom abriß, verließ auch sie den Platz am Fuße der Treppe und schwebte auf eine Gruppe von Damen zu, in der sie ihre intimste Freundin Lady Mable Darlington entdeckt hatte.
»Es ist wirklich ein außergewöhnlich gelungener Abend, meine Liebe«, sagte diese sofort, als sie ihre Freundin näher kommen sah. »Ich dachte gerade, wie bedauerlich es ist, daß meine Nichte diesen Ball noch nicht miterleben kann.« Sie wandte sich an die umstehenden Damen: »Ich habe meine Nichte Olivia, die Tochter meiner viel zu früh verstorbenen Schwester, eingeladen, diese Saison bei mir zu verbringen.«
»Ist das nicht das unscheinbare Landkind, das Sie bereits einmal vor Jahren vergeblich unter die Haube bringen wollten, meine Teuerste?« erkundigte sich Mrs. Kirkgate, die wegen ihrer bissigen Bemerkungen ebenso bekannt wie gefürchtet war.
Lady Darlington errötete leicht: »Olivia ist keineswegs unscheinbar«, beeilte sie sich mit Nachdruck zu versichern. »Sie ist eine äußerst attraktive junge Dame.«
Da sie selbst ihre Nichte seit sechs Jahren nicht mehr gesehen hatte, konnte sie nur hoffen, daß die Behauptung auch den Tatsachen entsprach.
»Ihre Tochter ist ein einnehmendes, kleines Ding«, wechselte Lady Sefton das Thema, an ihre Gastgeberin gerichtet, »ich bin sicher, sie wird eine glänzende Partie machen.«
»Bei dieser Mitgift dürfte das kaum zu verhindern sein«, setzte Mrs. Kirkgate hinzu.
Es blieb Lady Linham erspart, nach einer passenden Antwortzu suchen, denn in diesem Augenblick kündigte der Butler das Eintreffen eines weiteren Besuchers an. Da es bereits nach elf Uhr war, hatte er seinen Posten am Eingang des Saales verlassen, um die Lakaien beim Einschenken der Getränke zu beaufsichtigen. Als er den späten Gast erkannte, eilte er umgehend zur Türe des Ballsaales zurück. »Seine Gnaden, der Herzog von Wellbrooks!« verkündete er mit eindrucksvoller Stimme.
Erwartungsvolle Ruhe senkte sich über den Saal, als seien sämtliche Gespräche mit einem Male verstummt. Alle blickten gespannt die Treppe empor. Lady Linham wandte sich um, ein Triumphgefühl leuchtete in ihren Augen. Er war doch noch gekommen! Fast hätte sie die Hoffnung schon aufgegeben. Erst die Tatsache, daß Seine Gnaden unter ihren Gästen weilte, machte den Abend zu einem beneidenswerten Erfolg. Wellbrooks gehörte zu den besten Kreisen, er war in vieler Hinsicht tonangebend, einer der begehrtesten Junggesellen Londons. Natürlich, er war Lady Linhams Neffe. Und doch hatte sie nicht damit rechnen dürfen, daß seine verwandtschaftlichen Gefühle so weit gehen könnten, den Ball seiner Cousine zu besuchen. Er mied für gewöhnlich alle Veranstaltungen, die zu Ehren von Debütantinnen stattfanden. Nicht einmal Miss Morgans Ball, der letzte Woche gegeben wurde, hatte er mit seiner Anwesenheit beehrt. Und dabei galt Miss Morgan als die hübscheste Debütantin dieser Saison. Aber zu Julies Ball war er gekommen!
Nun stand der Herzog auf der obersten Stufe der Treppe und ließ seinen Blick langsam über die anwesenden Gäste schweifen. Nichts als unverhohlene Langeweile spiegelte sich auf seinem Gesicht. Das Aufsehen, das sein Erscheinen erregte, konnte ihm unmöglich entgangen sein. Und doch war er es viel zu gewöhnt, um sich etwas anmerken zu lassen. Seit seinem ersten Erscheinen in der Öffentlichkeit hatte man ihn umschmeichelt und hofiert. Stets hatte man ihm das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein. Ein seltenes Schmuckstück, das jeder gerne für seine Familie gewinnen wollte.
Den knapp Zwanzigjährigen hatte das Verhalten der Gesellschaft erschreckt und abgestoßen. Es dauerte nicht lange, da bat er seinen Vater, ihm ein Offizierspatent zu kaufen. England lag bereits seit längerem mit Frankreich im Krieg. Napoleon, der sich 1804 zum Kaiser der Franzosen gekrönt hatte, hatte in beispiellosen Eroberungskriegen einen großen Teil Europas unter seine Herrschaft gebracht und seine zahlreichen Brüder und Schwestern als Könige eingesetzt. Unter dem Oberkommando des Herzogs von Wellington kämpften englische Truppen in Spanien gegen den Feind. Der junge Wellbrooks wollte sich lieber den Strapazen des Krieges aussetzen, um für seine Heimat Siege zu erringen und seine Tapferkeit unter Beweis zu stellen, als in London zu bleiben und sich den Gefechten auf dem Heiratsmarkt auszuliefern. Vor zwei Jahren war sein Vater gestorben, und er war nach London zurückgekehrt, um sein Erbe
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