Die Braut des Normannen
1
England, 1066
Er wußte nicht, was ihn getroffen hatte.
Eben hatte er sich noch mit seinem Lederärmel den Schweiß von der Stirn gewischt, einen Augenblick später lag er schon flach auf dem Rücken.
Sie hatte ihn im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen. Natürlich mußte sie warten, bis er seinen Helm abnahm, dann schwang sie den schmalen Lederriemen hoch über ihren Kopf. Der kleine Stein, den sie in die behelfsmäßig geknüpfte Schlinge gelegt hatte, wirbelte immer schneller herum, bis er mit dem bloßen Auge nicht mehr zu erkennen war. Der Lederriemen zischte und schnaubte wie ein wildes Tier, als er durch die Luft sauste, aber ihr Opfer stand zu weit weg, um den Laut zu hören. Sie hatte sich in dem frostigen morgendlichen Schatten auf dem Wehrgang postiert, und ihr Gegner weit unter ihr vor der hölzernen Zugbrücke.
Der riesige Normanne war kaum zu verfehlen, und die Tatsache, daß er der Anführer der Barbaren war, die die Festung ihrer Familie stürmten, steigerte ihre Entschlossenheit nur noch. In ihrer Phantasie war der Hüne zum Goliath geworden.
Und sie war David.
Aber ganz anders als der fromme Held aus der uralten Geschichte hatte sie nicht vor, ihren Gegner zu töten, sonst hätte sie auf seine Schläfe gezielt. Nein, sie wollte ihn nur für eine Weile außer Gefecht setzen, und aus diesem Grund schleuderte sie den Stein auf seine Stirn. Mit Gottes Hilfe würde ihm für den Rest seiner Tage eine Narbe bleiben, eine Erinnerung an die Greueltaten, die er an diesem finsteren Tag seines Sieges befohlen hatte.
Die Normannen würden diese Schlacht gewinnen, daran bestand kein Zweifel. Es konnte nur noch ein oder zwei Stunden dauern, bis sie die Burg erobert hatten.
Eine Niederlage war unausweichlich, das wußte sie. Ihre angelsächsischen Soldaten waren zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen, und ein Rückzug war unvermeidbar. Es war bitter, aber ihnen blieb nichts anders übrig.
Dieser normannische Riese war schon der vierte Angreifer, den der Bastard William, der Beherrscher der Normandie, in den letzten drei Wochen geschickt hatte, um ihre Festung einzunehmen.
Die ersten drei hatten gekämpft wie kleine Buben, und sie und ihre Brüder hatten die Eindringlinge ohne Schwierigkeiten in die Flucht geschlagen. Aber dieser Mann war anders. Er ließ sich nicht verjagen, und es stellte sich schnell heraus, daß er weit kampferfahrener und viel gerissener war als seine Vorgänger. Die Soldaten, die seinem Befehl unterstanden, waren genauso ungeschickt wie die anderen zuvor, aber dieser neue Anführer achtete streng auf Disziplin und darauf, daß seine Männer ihr Ziel nie aus den Augen verloren.
Am Ende dieses schrecklichen Tages würden die Normannen den Sieg davontragen.
Aber ihrem Befehlshaber sollte dieser Erfolg ein Schwindelgefühl verursachen, dafür würde sie schon sorgen.
Sie lächelte, als sie den Stein schleuderte.
Baron Royce war von seinem Streitroß gestiegen, um einen seiner Soldaten aus dem Graben zu ziehen, der die Burg umgab. Der tolpatschige Kerl war ausgerutscht und kopfüber ins tiefe Wasser gefallen. Wegen der schweren Rüstung und der Waffen sank er wie ein Stein. Royce streckte eine Hand ins Wasser, bekam einen Stiefel zu fassen und zerrte den jungen Soldaten aus den schlammigen Tiefen. Mit einer raschen Bewegung warf er seinen Gefolgsmann auf das grasbewachsene Ufer. Der Bursche hustete und prustete, und das verriet Royce, daß er keine weitere Hilfe brauchte – der Junge atmete noch. Royce nahm seinen Helm ab und wischte sich gerade den Schweiß von der Stirn, als der Stein durch die Luft zischte und sein Ziel traf.
Royce wurde nach hinten geworfen und fiel nicht weit von seinem Hengst entfernt zu Boden. Er war nicht lange bewußtlos, aber als er die Augen öffnete, umgab ihn noch immer ein feiner Nebel. Ein paar seiner Soldaten waren ihm sofort zu Hilfe geeilt.
Er wies sie schroff zurück, setzte sich allein auf und schüttelte den Kopf, um den Schmerz und die verwirrende Benommenheit loszuwerden. Für ein paar Minuten konnte er sich nicht einmal daran erinnern, wo er sich überhaupt befand. Blut sickerte aus der Wunde über seinem rechten Auge. Er tastete die Stelle ab und merkte, daß er eine tiefe Fleischwunde davongetragen hatte.
Er hatte immer noch keine Ahnung, was ihn getroffen hatte. Das Ausmaß der Verletzung schloß aus, daß es ein Pfeil gewesen war – aber, verdammt, sein Schädel brannte wie Feuer.
Royce verdrängte den Schmerz und
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