Die Braut des Ritters
sagte Avelyn beherrscht. Die Frau war erstarrt, als Avelyn sich umgewandt hatte. Der Hass, der kurz in ihren Augen aufgeflackert war, alarmierte Avelyn, auch wenn das Glimmen sogleich wieder verschwunden war, als sei es nie da gewesen. An seiner statt trug Lady Helen nun ein Lächeln zur Schau, während sie langsam auf Avelyn zutrat. Doch diese hatte die Verbitterung gesehen und konnte nicht so tun, als sei nichts geschehen.
„Guten Tag, mein Kind. Ich habe mir schon gedacht, dass Ihr es seid, die hier oben umherspaziert, und daher bin ich gekommen, Euch zu warnen. Es ist gefährlich, sich über die Zinnen zu lehnen, wie Ihr es gerade getan habt. Unfälle können passieren, wisst Ihr.“
„Wie wahr“, stimmte Avelyn zu und machte einen Schritt rückwärts, wobei sie sich parallel zur Brüstung bewegte. „Und gerade mir scheinen sie auffällig häufig zu passieren.“
„Ihr scheint in der Tat zu Unfällen zu neigen“, murmelte Lady Helen und folgte ihr.
„Wieso das alles?“, fragte Avelyn, die nicht länger die Ahnungslose spielen mochte. Dass Lady Helen hinter den Anschlägen steckte, war ihr klar geworden, sobald sie den hasserfüllten Blick gesehen hatte. Nur verstand sie nicht, warum. Gewiss nicht, weil Diamanda in Paen vernarrt war, oder?
Lady Helen hielt inne und legte den Kopf leicht schräg. Sie fragt sich, ob sie zugeben soll, was sie getan hat, dachte Avelyn. Schließlich seufzte die Dame und tat einen weiteren Schritt auf Avelyn zu. „Nicht, weil ich Euch etwa zürnte, Avelyn.“
„Nach Eurer Miene gerade zu urteilen, fällt es mir schwer, dies zu glauben.“
Lady Helen verzog das Gesicht. „Oh, aye, damit habe ich mich wohl verraten. Verzeiht mir. Ich fürchte, meine Gereiztheit entspringt Verzweiflung. Weshalb nur wollt Ihr einfach nicht sterben?“
Sie stellte die Frage in einem so höflichen Ton, dass Avelyn keine Erwiderung einfiel. Also beschränkte sie sich darauf, weiter zurückzuweichen.
Abermals folgte ihr Lady Helen. „Viermal hättet Ihr sterben sollen, und viermal seid Ihr dem Tod entronnen. Ich...“
„Viermal?“, fiel Avelyn ihr entgeistert ins Wort. Ihr waren nur zwei Mordversuche bekannt.
„Aye, zweimal seid Ihr einer Vergiftung entgangen, einmal solltet Ihr durch das Loch im Fußboden stürzen und einmal von jenem Stein dort unten erschlagen werden.“ „Ihr wolltet mich vergiften?“ Avelyn starrte sie an. „Wann?“
Lady Helen trat unwillig von einem Bein aufs andere. „Während der Reise von Straughton nach Gerville. Ich habe Euch Gift über die Kaninchenkeule gestreut, die ich Euch durch Diamanda habe bringen lassen. Es war ein sehr starkes Gift und hätte Euch im Nu dahinraffen sollen. Aber anstatt von dem Aufschrei über Euer Ableben geweckt zu werden, habe ich Euch am folgenden Morgen quicklebendig vom Baden zurück ins Lager spazieren sehen.“
Avelyn blinzelte, als sie sich an das Fleisch erinnerte, das Diamanda ihr am ersten Abend ihrer Reise gebracht hatte. Von dem Bratenstück hatte ihr sogleich der Mund gebrannt. Aber da sie sich beim Abbeißen auf die Zunge gebissen hatte, brachte sie das Brennen damit in Zusammenhang. Auch hatte sie das Gefühl gehabt, als krabbelten ihr Ameisen über die Haut, doch dann war sie von ihrem aufbegehrenden Magen abgelenkt worden. Avelyn hatte die plötzliche Übelkeit darauf zurückgeführt, dass ihrem Magen durch den wilden Ritt so böse mitgespielt worden war. Und vermutlich hatte es tatsächlich daran gelegen - was ihr in jener Nacht somit das Leben gerettet hatte.
„Nachdem das misslungen ist“, fuhr Lady Helen fort und trat noch einen Schritt näher, „kochte ich am folgenden Abend einen Eintopf. Gerechtfertigt habe ich es damit, dass Paen mit seinen verbundenen Händen ja nur einen Becher halten könne. In Wahrheit wollte ich nur die Dosis des Gifts verdoppeln. Auf gebratenem Fleisch wäre dies vermutlich aufgefallen, und so hoffte ich, dass es im Eintopf nicht zu schmecken sei.“ Sie schüttelte den Kopf, als könne sie etwas nicht fassen. „Doch selbst die doppelte Menge an Gift habt Ihr überlebt. Lediglich müde seid Ihr davon geworden.“
Avelyns Müdigkeit hatte keineswegs am Gift gelegen, sondern daran, dass sie die ganze Nacht genäht hatte. Das Gift hatte schlicht deshalb nicht gewirkt, weil sie den Eintopf ebenso nicht gegessen hatte. Sie war noch satt gewesen von Käse, Brot und Apfel, den Speisen, die Runilda ihr zuvor gebracht hatte. Auch hier hatte das Schicksal sie gerettet. Das aber
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