Die Braut des Ritters
verschwieg sie Lady Helen wohlweislich. „Und Ihr wart es sicher, die mich mit dem Brett niedergeschlagen und durchs Loch gestoßen hat, nicht wahr?“
„Aye, ich bin nach draußen gegangen, um mir den Kräutergarten anzuschauen, kehrte aber gerade rechtzeitig zurück, um mitzubekommen, wie Ihr Diamanda erzählt habt, Ihr würdet oben nach den Bediensteten suchen wollen. Da habe ich mich in die Küche gestohlen und gewartet, bis Diamanda fort war, um Paen nach dem Brunnen zu fragen. Sobald Ihr im oberen Geschoss wart, bin ich Euch gefolgt. Die Treppe war tückisch. Im Gegensatz zu Euch habe ich sie aber bewältigt, ohne mir das Bein aufzuschürfen“, setzte sie spöttisch hinzu.
Avelyn ging nicht auf den Stachel ein, sondern ließ sie weiterreden.
„Das Brett habe ich in einer der anderen Kammern gefunden und mitgenommen“, fuhr Lady Helen fort. „Als ich Euch entdeckte, habt Ihr Euch gerade über das Loch gebeugt, um hindurchzuspähen. Doch ehe ich vorstürmen und Euch hinunterstoßen konnte, hattet Ihr Euch schon wieder aufgerichtet. Daher habe ich das Brett eingesetzt.“ Sie presste kurz die Lippen aufeinander. „Und wieder seid Ihr mit dem Leben davongekommen, dieses Mal, weil Euer Rock sich in einer der gesplitterten Bodendielen verfangen hat. Ich wollte den Stoff lösen, damit Ihr fallt, aber in diesem Augenblick schrie sich Runilda die Seele aus dem Leib. Ich wusste, es wäre bald Hilfe da, und zudem fürchtete ich, sie könne mich von unten sehen. Aus diesem Grund habe ich mich in einem der anderen Gemächer versteckt, bis Diamanda die Magd nach Paen geschickt hatte und hochgeeilt war. Ich bin nach ihr in die Kammer getreten, so als käme ich gerade erst von draußen.“
„Ich nehme an, Ihr habt Diamanda nicht deshalb daran zu hindern versucht, mich hochzuziehen, weil Ihr um mein Leben bangtet“, warf Avelyn trocken ein und wich ein wenig weiter zurück.
„Richtig. Diamanda ist kräftig und hätte zudem auf meine Unterstützung bestanden. Gemeinsam hätten wir Euch durchaus retten können. Ich habe einfach gehofft, dass Euer Rock doch noch reißt und Ihr in den Tod stürzt, ehe Paen Euch zu Hilfe eilen konnte. Unnötig zu erwähnen, dass Euer Rock nicht gerissen ist.“
„Also habt Ihr es als Nächstes mit dem Steinquader versucht.“
Wut glomm in Lady Helens Augen auf. Sie atmete tief durch. „Ihr seid wahrlich der größte Glückspilz, den ich kenne.“
„Und das passt Euch nicht“, stellte Avelyn fest und sah Lady Helens hasserfüllte Miene vor sich.
„Jeder Versuch war schließlich auch für mich riskant“, beschied Lady Helen ihr. „Weshalb nur wollt Ihr nicht sterben?“, stieß sie aus.
Avelyn machte erneut einen behutsamen Schritt nach hinten, denn Lady Helen mochte sich nun jeden Moment auf sie stürzen. Dies war nicht länger die liebenswerte, warmherzige Dame, die Avelyn an ihrem Hochzeitstag kennengelernt hatte. Sie konnte es kaum fassen, dass diese Frau dort tatsächlich Lady Helen war, und noch immer begriff sie nicht, warum Helen sie tot sehen wollte.
„Wieso das alles?“, wiederholte sie ihre Frage von vorhin.
„Wieso?“ Lady Helen starrte sie an, als halte sie Avelyn für schwachsinnig, weil ihr das Motiv für die Übergriffe nicht klar war. „Wegen Diamanda natürlich.“
„Wegen Diamanda?“ Nun war es an Avelyn zu starren. Lady Helen musste verrückt sein.
„Schaut mich nicht so an“, zischte die und machte zwei Schritte auf Avelyn zu.
„Wie schaue ich Euch denn an?“ Wachsam trat Avelyn weiter zurück.
„Als sei ich von Sinnen. Das bin ich keineswegs.“ Darüber wollte Avelyn sich lieber nicht mit ihr streiten. Stattdessen fragte sie: „Ihr wollt mich umbringen, weil Diamanda eine kindliche Schwärmerei für Paen hegt?“ „Seid doch nicht töricht“, blaffte Lady Helen ungeduldig. „Ich will Euch umbringen, weil Adam tot ist.“ Avelyn blinzelte verwirrt. „Das verstehe ich nicht.“ „Adam war mit Diamanda verlobt. Im Ehevertrag war ausgemacht, dass die beiden Rumsfeld Castle als Wohnsitz erhalten würden.“
Überrascht sah Avelyn sie an. Von dem Verlöbnis hatte sie gewusst, nicht aber von der Abmachung Rumsfeld Castle betreffend. Niemand hatte es je erwähnt. Sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil Paen und sie nun dort lebten, wo eigentlich Diamanda und Adam hätten leben sollen. Plötzlich ging ihr auf, dass Lady Helen sie zu einer Stelle manövriert hatte, an der die innere Mauer fehlte - der Teil des Wehrgangs, der die
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